Klischees sprechen vom immer unter Strom stehenden Vollblutrennpferd, das ja nur hysterisch sein kann. Das stimmt aber nicht und das ist auch nicht der Schnittpunkt, den sie alle gemeinsam haben. Rennpferde haben deutlich mehr Facetten als sie ihnen der Klischeereiter zutraut und die Gemeinsamkeit, dass sie gerne laufen, hat überhaupt nichts mit Hysterie oder einer kurzen Leitung zu tun, sondern damit, dass die Leute ihre Rennpferde nie laufen lassen. Richtig – nicht das, was sie Galöppchen nennen. Da nehmen manche Artgenossen schon mal mit, was sie kriegen können.
Sie laufen in allen Gestalten und das ist sowohl eine Interieursache als auch eine Exterieursache. Es gibt sie in groß in klein, mit Ramsnase, mit Araberköpfchen und in sehr vielen Farben: Braun. (Okay, okay, wir haben doch andere Farben … aber nach einem Sandbahnrenntag sind sie alle braun).
Es gibt die Gewerkschaftsrennpferde, die permanent im Streik sind, es gibt die Faulsäcke, es gibt die Kinderpferde, es gibt Sensibelchen und es gibt Bekloppte. So wie bei jeder anderen Rasse auch. Nur die Autisten habe ich noch nie bei einer anderen Rasse kennengelernt. Die Autisten interessieren sich nicht für andere Pferde, auch nicht wirklich für Rennen … sondern mehr für ihre Umwelt und was es da so gibt. Die fürchten sich nicht, die arbeiten aber auch nicht wirklich mit, sie sind da und gucken, was es so gibt. Einfach so, ganz zufrieden und fröhlich und stehen auch lieber etwas abseits.
„Die können ja nur Rennen“ heißt es. Das ist der falscheste Spruch, den andere Reiter bringen können und man kann sie eigentlich nur bemitleiden – denn sie sind limitiert. Vollblutreiter nicht. Ein Vollblut kann alles – sofern man es ihm beibringt. Es kann auch alles viel schneller – nur nicht schöner als die anderen Kinder. So wird man eben nicht im Grand Prix die Reiter künftig mit Rennpferden umherschweben sehen – dafür ist das heimische Publikum zu viele Lampenaustreter gewohnt. Wenn ein Rennpferd nur rennen kann, dann hat der Reiter wohl versäumt ihm etwas beizubringen.
„Oh, die sind ja so klug.“ Ja? So wie alle Chinesen klug sind? Vollblüter mögen zwar oft sehr klug erscheinen, sind aber genauso schlau oder doof wie alle anderen Tiere der Gattung Pferd auch. Sie lernen schnell – aber sie lernen auch gerne auswendig. Wie die Kinder im Vokabeltest – die waren nicht schlauer als andere, die haben nur mehr geübt. Oder gespickt. Im Mogeln sind Rennpferde nämlich auch groß.
„Die sind ja alle kaputt.“ Nur weil sich irgendwer einen Pflegefall im Stall ans Bein gebunden hat, sind alle Rennpferde kaputt, sonst würden sie ja noch laufen. Laut Logik der anderen Mitreiter natürlich. Die gehen gerade mal wieder ihre 10 Minuten Schritt, weil ihr Superstar sich schon wieder das Bein angeschlagen hat.
„Der ist aber lieb für ein Rennpferd.“ Nein, der ist normal. Fast alle Pferde, die von Leuten geritten werden, die davon leben, sind gut erzogen. Weil die Leute nicht ihren Hals für ihren Job riskieren wollen. Tretende und beißende Pferde sind nicht gerne gesehen und man kann getrost seinen Hintern darauf verwetten, dass etwas dagegen unternommen wird, wenn das Pferd sich so gebärdet.
Warum wird dann also immer gejammert, dass Rennpferde nichts verstehen, total hibbelig sind und nie stillstehen können? Weil die zwar alle das gleiche können, es sich aber stark von dem unterscheidet, was der gemeine Reiter so lernt. Ein Rennpferd hält nicht an, nur weil da jemand sich „schwer“ macht, wie man immer so schön eingetrichtert bekommt. Und es hält schon mal gar nicht an, wenn man die Zügel bis zu den Gebissringen kürzt. Weiß man das nicht (und möchte sich auch gar nicht informieren) bekommt man das Klischeerennpferd – das mitnichten hibbelig und hysterisch ist, sondern einfach nur die Kommandos umsetzt, die es bekommt. Ist halt blöd, wenn die Steuerung anders funktioniert. Hätte man aber erfragen können.
Für den Reiter macht der Kauf eines Vollbluts vor allem einen Unterschied zum gemeinen Warmblut: Einmal Rennpferd – immer Rennpferd. Denen kommt nichts mehr anderes in den Stall.