Vergangene Woche zog er ein: Lord Lucas Cranach. Der inzwischen fünfjährige Campanologist-Sohn hat in seiner Zeit als Galopper nur ein Rennen bestritten und wechselte dann mit einem Sehnenschaden in den Freizeitbereich. Seine neue Besitzerin hatte keine Erfahrung mit Galoppern, doch erlag sie den großen Kulleraugen des hübschen Braunen. Und so zog das “Lördchen” vierjährig in einen Offenstall (gemischte 12er Herde) und war fortan etwa fünfmal pro Woche unterm Sattel im Gelände unterwegs und machte einmal pro Woche Bodenarbeit. Zu Fressen bekam er dreimal täglich Heu sowie 3 x 1 Liter haferfreies Müsli, Mineralfutter sowie Leinsamen.
Als bei dem hübschen Braunen langsam aber sicher die Pubertät einsetzte, suchte seine Besitzerin nach blütererfahrener Unterstützung. Ihre Recherche führte sie zum Rennpferde-Umschulungsverein Liberty’s Home von Anke Dahlhaus. Doch da der Weg von der Schweiz nach Weeze arg weit war, betätigte ich mich gerne als Münchner Außenstation der “Mobilen Galopperhilfe” 😊.
Timing is a Bitch
Ursprünglich war der Plan, das “Lördchen” acht Wochen nach München zu holen, unterm Sattel seine Buckel-Problematik zu bearbeiten und an der Hand erstmal zu erklären, dass man Menschen nicht beißt, tritt oder umrennt. Seine Besitzerin organisierte ihm extra einen luxuriösen Transporter, klärte Amtstierarzt und Zoll … und dann kam wenige Tage vor der Abreise der Anruf: Lord hatte im Offenstall vor einem tieffliegenden Hubschrauber gescheut. War gestürzt. Verletzt. Und lahm.
Was tun? Einen zerbeulten Blüter von der Schweiz als Berittpferd nach München bringen, wenn man ihn ggf. erstmal nicht arbeiten kann? Oder den aufsässigen, aufgeladenen Blüter zuhause heilen lassen? In einem Offenstall ohne große Infrastruktur fürs Training (Halle o.ä.)? Bei einer aufziehenden Schlechtwetterfront? Unser “Date” ein paar Wochen verschieben war leider auch keine Option. Gute Pensionsboxen sind in München derzeit Mangelware und ich hatte nur durch einen glücklichen Zufall gleich eine schöne Fensterbox für seinen Aufenthalt sichern können. Auf der Warteliste standen bereits Pferde Schlange, die die Box anschließend übernehmen möchten. Hürden über Hürden …
Beim auf seinen Sturz folgenden Röntgenmarathon stellte der Tierarzt nebst Prellungen und Schürfungen auch noch eine Kissing Spines Thematik in der Lendenwirbelsäule fest, die durchaus die Ursache für viele der Eingangs erwähnten Probleme sein kann. Doch das änderte nichts an seiner Laune. An seinen Manieren. Am aufkommenden Winter.
Draufsetzen und losreiten?
Lords Besitzerin hatte sich wohl schon damit abgefunden, dass die viele Planung für die Katz war. Aber da musste ich sie enttäuschen: Ich mag Projekte. Ich gehöre nicht zu der Sorte Pferdemenschen, die sich gerne auf ein “funktionstüchtiges” Sportgerät setzen und brillieren. Ich mag genau die leicht hysterischen und hochempfindlichen Tiere, bei denen man den feinen Spagat zwischen Genie und Wahnsinn finden muss. Die Sorte an Vollblutpferd, die beim kleinsten Fehler in Haltung oder Arbeit auf dem Zahnfleisch gehen und keine Fehler verzeihen. Und die zu absoluten Höchstleistungen auflaufen, wenn man die Zahnräder in die richtige Richtung optimiert.
Nein: Das heißt bei mir nicht, dass ich jeden Tag im Sattel sitzen muss. Das kann auch Bodenarbeit heißen. Oder Gassigehen an der Hand. Was es halt braucht, um ein gesundes und entspanntes Reitpferd zu erziehen.
Und so zog Lord, dessen Beulen zum Glück nicht so schlimm waren, wie anfangs befürchtet, am vergangenen Wochenende auf die Reitanlage Garkofen im Münchner Osten.
Die erste Begegnung: Öhm …
Nach der langen Fahrt durfte Lord erstmal in seiner neuen Box zur Ruhe kommen und etwas Heu fressen. Nachmittags nahm ich ihn dann mit in die Longierhalle, damit er sich ein wenig die Füße vertreten kann. Noch keine Arbeit. Dachte ich zumindest. Aber eine spannende Möglichkeit, ein erstes Feeling für den Kleinen zu bekommen.
Das “Lördchen” zeigte sich am Führstrick auffällig hengstig, schmiss einen Kragen und verkündete kreischend, dass er nun da ist. Ein paar kleine Bocksprünge. Ein leichter Ansatz von Ansteigen. Alles klar. Von einem Ruck an seinem etwas zu großen Knotenhalter zeigte er sich wenig beeindruckt; eine lautstarke Korrektur half aber, damit er wieder Bodenkontakt bekam. Im Roundpen rannte er erstmal los, drängelte immer wieder nach innen und trat mehr als einmal gezielt in Richtung der Menschen am Zirkel-Mittelpunkt. Mit Blick auf seine Verletzung machte ich nur wenig Druck und schickte ihn nur, wenn er mir offensichtlich drohte. Auffällig zügig ließ das Großmaul den Kopf hängen und fing an, zu kauen und sich die Lippen zu schlecken.
Als er sich beruhigte, versuchte ich vorsichtig ein Join Up nach Monty Roberts. Lord schloss sich mir auch bereitwillig an, schloss auf … und versuchte, mich als Kratzpfosten zu nutzen. PUBERTIER lässt grüßen. Ich reagierte prompt (nein: nicht 30 Sekunden oder gar Minuten später). Konsequent (nein: nicht mit Knoti oder Raschel-Stock). Und vor allem nur kurz (nein: ich mache kein Fass auf und fange langwierige Streitereien und Kriege mit meinen Pferden an.
An Tag 2 widerholten wir die Lektionen von Tag 1: Ich werde nicht gebissen. Nach mir wird nicht getreten. An mir schubbert man sich nicht. Und am Halfter gehen wir in die Richtung, die ich wünsche.
Und plötzlich ist Ruhe
Am dritten Tag war plötzlich Ruhe. Kein Kreischen. Kein Rempeln. Kein kopfloses Losrennen im Roundpen. Und vor allem: Kein Bocken und Treten. Und so konnte die Arbeit mit dem inzwischen lahmfreien Lord beginnen. Ich griff erstmals zu Trense und Longe, um seine Beweglichkeit und Reaktionen prüfen zu können.
Beim Fertigmachen fiel eine erste Stellschraube auf: Lords Gebiss. Er trug eine doppelt gebrochene, anatomische Wassertrense in 12,5 cm: Den absoluten Standard unter den maulschonenden Reitpferde-Gebissen. Für Warmblüter. Erfahrungsgemäß sind die klassischen Warmblüter-Gebisse für einen kleinen, zierlichen Vollblutkopf mit den teils winzigen Maulspalten einfach zu groß und zu dick. Bei der Arbeit zeigte sich, was ich befürchtet hatte: Lord shakte immer wieder mit dem Kopf, nahm die Zunge übers Gebiss und zeigte sich mit der Situation unzufrieden. Aber ruhig. Und brav.
Bestandsaufnahme Lord Lucas
An Tag vier (s. Video) zeigte sich Lord mit einer kleineren, einfach gebrochenen Wassertrense mit Gummiüberzug deutlich zufriedener, suchte vorne etwas die Anlehnung und wölbte sogar punktuell den Rücken auf: Zumindest vorne. Dafür konnte man bei einem ruhig und gleichmäßig laufenden Pferd erstmals den vermutlichen Kern des Problems erkennen: Lords verspannte Lendenwirbelsäule (wo er auch den Kissing Spines Befund hat). Gerade das “Bremsen” fiel ihm unheimlich schwer: Statt beim Durchparieren hinten die Hanken zu beugen, bremst er Western Style über die Vorderhand. Die langfristigen gesundheitlichen Folgen dieser Bremstechnik kann man sich leider an einer Hand ausrechnen.
Und so ließen wir den Tag mit einem gemütlichen Spaziergang durchs Dorf ausklingen, damit der Bub ein bisschen was zu sehen bekommt. Und machten für den Folgetag einen Termin bei meiner Chiropraktikerin Dr. med. vet. Zrinjka Hardenberg, die nach seinem Sturz wieder die bestmögliche Beweglichkeit herstellen soll. Damit er gesund aufnuskeln kann.
Das Ziel? Langfristige Gesundheit!
Nein, ich werde aus Lord sicherlich nicht an acht Wochen ein perfekt bemuskeltes Dressurwunder zaubern. Das ist auch gar nicht das Ziel. Lord soll ein als gesundes und braves Freizeitpferd Spaß an der Arbeit haben und seiner Besitzerin Spaß bei der Arbeit machen. In diesem Sinne wird er bei mir Basics in Sachen Bodenarbeit, Doppellonge und auch Stangengymnastik lernen sowie eine möglichst rückenschonende Haltung unter dem Sattel.
Zudem werden wir an seinen Umgangsformenarbeiten. Seine Besitzerin kommt uns an den Wochenenden sowie abschließend eine ganze Woche besuchen und bekommt einen Crashkurs in allen Disziplinen, einen optimierten Futterplan (der den Muskelaufbau fördert, ohne das Pferd aufzuheizen) sowie Trainingsempfehlungen für die nächsten Monate. Dann schauen wir weiter, wie sich der kleine Mann entwickelt.
Eine Blockade nach der anderen
Ende der ersten Woche besuchte meine Stamm-Chiropraktikerin (Chiropraxis Hardenberg) Lord und hatte nach seinem Koppelunfall einiges zu tun:
„ISG und Intertransversalgelenk links blockiert und schmerzhaft, Lendenwirbel 2-4 blockiert, Brustwirbel 4-6 blockiert, Halswirbelsäule links C 3 & 4 blockiert. 1 Tag Pause, danach longieren. Sattel durch Sattler prüfen lassen. Schmied prüfen lassen, ob hinten Eisen notwendig sind. Gangbild ist gebunden, wenig Lastaufnahme durch die Hinterhand.“
Seit der Behandlung kann sich das „Lördchen“
wieder merklich flüssiger bewegen, ist weniger reizbar und kann vor allem
wieder Anhalten, wenn er erst einmal losgelaufen ist. Das war ihm vorher
nämlich nicht so gut möglich. Sein aktueller Sattel passt ihm leider nicht (im
Widerristbereich zu eng = unangenehm), doch ich habe ich meinem Fundus ein
Modell gefunden, mit dem er zufrieden läuft. Der Kentaur Triton erweist sich
mal wieder als Allzweckwaffe für Pferde mit hohem Widerrist.
Next Step: Die Bodenarbeit durch sehr kurze Reiteinheiten ergänzen (<10
Minuten). Lord hat nämlich bereits gezeigt, dass er das Durcheinanderlaufen in
der Reithalle EXTREM doof findet. Da werden wir uns sehr langsam rantasten
müssen.