Während die deutsche Rennsportfamilie dieser Tage heftig über den Sinn und Unsinn von Hindernissen diskutiert, beginnt in den Reitställen im ganzen Land die Saison der Springgymnastik. Gerade an kurzen Tagen und bei schlechtem Wetter sind Stangen und Cavalettis ein wunderbares Training und bringen Farbe in den langweiligen Alltag. Dieser Artikel soll einige ganz konkrete Tipps geben, wie man mit Stangen, Hindernissen und Gymnastikreihen Kraft und Koordination seines Pferdes schulen kann.
Sowohl meinen ersten Ex-Galopper Lord als auch Duke habe ich erst mit Stangen am Boden vertraut gemacht und dann erste Cavalettis eingebaut. Lord of Desert war ein quirliger und anfangs hektischer Vollblüter; ihn zwangen die bunten Stangen, sich zu konzentrieren. Duke hingegen kam brav und entspannt aus dem Rennstall Recke; nach einem beachtlichen Wachstumsschub mit 4 Jahren hatte er aber 0,0 Ahnung, was er mit seinen langen Beinen anstellen soll. Für ihn war das erste Ziel: Koordination.
Stangengymnastik mit Ex Galopper Duke, wenige Wochen aus dem Rennstall
Mit beiden Pferden habe ich Sprünge am Halfter erarbeitet. Erst im Schritt. Dann im Trab. Mit Lord bin ich wirklich lange nur über Hindernisse getrabt: Immer wieder riss er mir die Zügel aus der Hand und wollte auf Vollgas schalten. Motor an und Hirn aus. Er sprang 3 Trab-Stangen als 1 Hindernissen oder Kombinationen als In-and-Out. Erst als ein gewisses Maß an Ruhe und Kontrolle da war, habe ich langsam das Tempo hochgedreht. Mit Duke waren Ruhe und Kontrolle kein Problem: Er sprang ab Tag 1 mutig und willig. Hier war bzw. ist die Aufgabe, das große Pferd in positiver Spannung zu halten. Wenn er hektisch wird, passieren allzu leicht Fehler. Darum gilt hier: Ruhe, Rhythmus, Spannung und Routine erarbeiten.
Cavaletti-Arbeit
Cavalettis, auch Bodenricks genannt, sind in fast jedem deutschen Reitstall anzutreffen. Üblicherweise sind die Stangen etwa 8 cm dick und 3 Meter lang und an den Enden an Kreuzen oder Kunststoffblöcken befestigt. So können Cavalettis bequem gedreht werden, um die Höhe zwischen 15 und 50 cm zu variieren. Besonders sympathisch finde ich die modernen Cavalettis von Ingrid Klimke, bei denen die Blöcke jeweils mit weichem Kunststoff eingemantelt werden. Das Verletzungsrisiko für Pferd und Reiter ist deutlich geringer, als bei den klassischen Holzkreuzen am Rand.
Cavalettis können einzeln in den Trainingsalltag integriert werden. Zur Gewöhnung reicht ein einzelnes Cavaletti auf der niedrigsten Stufe. Je erfahrener und besser trainiert das Pferd ist, desto länger und komplexer können die Aufgaben werden. Cavaletti-Reihen mit variierender Höhe oder auf gebogenen Linien: Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Abstände
Schritt: circa 90 cm
Trab: circa 140 cm
Galopp auf gebogener Linie: Innen 200 und außen 300 cm
Lese-Tipp: Cavaletti
Das Buch “Cavaletti” von Ingrid Klimke ist ein Standardwerk der Deutschen Reiterei … und das zu Recht. Auch dieses Buch von Ingrid Klimke begeistert doch seinen hohen Nutzwert, Bodenständigkeit und Logik. Die Autorin erklärt den Sinn von Cavalettis im Trainings-Alltag, welches Equipment benötigt wird und dann beginnt der lange, bilderlastige Praxis-Teil: Cavaletti-Arbeit ohne und mit Reiter. Mit allgemeinen Tipps, konkreten Trainings-Reihen und Ausbildungs-Plänen ist das Buch von A bis Z durchdacht und einfach nur Klasse! Die Bilderstrecken bringen viele große und kleine Aha-Momente – zum Beispiel „Wie verschnallt sie ihre Dreieckszügel bei der Bodenarbeit?“ oder „Wo hängt sie die Longe ein?“ – und man merkt in jedem Satz, wie ernst die Autorin ihren Lehrauftrag in Sachen Weitergabe von Wissen nimmt.
Fazit: Authentisch, sympathisch und unsagbar nützlich!
Freispringen
Wie der Name schon sagt, laufen Pferde beim Freispringen ohne Hilfszügel durch eine abgezäunte Gasse und absolvieren eine gymnastizierende Reihe an Stangen, Cavalettis und oder Hindernissen. Im Rennsport ist Freispringen leider höchst selten zu beobachten, im Reitsport gehört es zum Alltag. Wer selbst keine Infrastruktur fürs Freispringen hat: Viele Reitställe bieten z.B. via Facebook an, dass externe Besucher gegen eine kleine Gebühr an ihren Freispring-Sessions teilnehmen können.
Theorie: Freispringen sollte nur auf einem sicher eingezäunten Platz und auf vernünftigem Boden durchgeführt werden. Die Hindernisse werden entlang der langen Seite aufgebaut; One-Way-Parcours werden meist auf der linken Hand absolviert (die meisten Pferde sind Rechtshändler und springen lieber auf der linken Hand). Idealerweise sollten zwischen dem letzten Sprung und der nächsten Ecke mindestens 15 Meter liegen. Zum Absperren der Freispring-Gasse eignet sich vor allem das bunte Absperrband aus dem Baumarkt: Die Farbe flößt den Pferden Respekt ein, doch im Fall der Fälle reißt es und lässt die Pferde unverletzt aus der Gasse. Man sollte zum Freispringen mindestens zu zweit sein, um das Pferd gleichmäßig in positiver Spannung durch die Aufgabe lotsen zu können.
Freispringen mit Ex Galopper Lord of Desert v Desert Prince
In der Praxis: Wärmen Sie das Pferd gründlich auf. Führen Sie besonders junge und unerfahrene Pferde erst einmal am Halfter durch die Gasse, ehe sie mit dem tatsächlich freien Part beginnen. Das Pferd soll ruhig und konzentriert laufen; keinesfalls hektisch. Legen Sie besonders bei jungen Kandidaten Anfangs alle Stangen auf den Boden und erhöhen Sie den Schwierigkeitsgrad in kleinen Schritten.
Abstände von Stangen und Sprüngen
Jedes Pferd macht unterschiedlich große Trab-Tritte und Galopp-Sprünge; darum sind die folgenden Werte nur eine grobe Richtlinie. Wenn Sie also zum ersten Mal Gymnastikreihen für Ihr Pferd bauen: Beobachten Sie, wie groß oder klein Sie bauen müssen.
Trabstange: 1,2 bis 1,5 cm
Taktstange vor dem Sprung, aus dem Trab angeritten: 1,8 bis 2,5 m
Taktstange vor dem Sprung, aus dem Galopp angeritten: 2,8 bis 3,5 m
In and Out (Kombination von 2 Sprüngen, Pferde setzen dazwischen nur kurz auf, kein Galoppsprung zwischen den Hindernissen!): 3 bis 4 m
Galoppsprung zwischen 2 Hindernissen: 6 bis 8 m
Kleine Gymnastikreihe für stürmische Pferde:
Trabstange -> 120 cm -> Kreuz (“In”) -> 300 cm -> Kreuz (“Out”) -> 700/750 cm -> Ochser*
In & Outs sind eine gymnastische Übung, die u.a. die Rückentätigkeit fördern. Wenn die Pferde zum hochweiten Ochser stürmen, kann die Distanz verringert werden. So muss das Pferd automatisch zurückkommen und geschlossener Springen.
Weitere Ideen für Freispring-Aufgaben finden Sie u.a. hier.
Weitere Ideen für gerittene Gymnastikreihen finden Sie u.a. hier.
*https://de.wikipedia.org/wiki/Oxer