Das Vollblut hat eine Automatikschaltung

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Ich weiß, ich weiß. Ich sage ja immer: Blüter sind auch nur Pferde. Allerdings unterscheiden sie sich in einem wesentlichen Punkt dann doch. In ihrer etwas bizarren Gedankenwelt. Denn sie sind oft einen Schritt weiter (manchmal aber auch zehn zurück) und sorgen so für allerhand Verwirrung, wenn der Reiter nicht schnell genug mitdenkt (oder langsam genug ist). Das fängt ja schon bei der Pediküre an.
Der Schmied muss verstehen, dass das Vollblut eigentlich jetzt auch nicht so die Zeit hat. Das hat wichtige Termine und auch nicht so viel Geduld. Dementsprechend bietet es dem Schmied gerne an, auch zwei Hufe zu heben. Das klappt nicht immer und so mancher Galopper ist damit schon auf die Nase gefallen. Nur um das gleich nochmal zu versuchen. Dabei stört es ihn gar nicht, wenn der Schmied und sein Gehilfe anschließend wie die aufgescheuchten Hühner herumlaufen (Hilfe, Hilfe, der Galopper ist umgefallen), nein, er ist nur etwas verwundert, warum die jetzt schneller machen können, und vorher noch so langsam waren. Hop, hop! Der Galopper hat keine Zeit.
So ist das auch beim putzen. Ich kenne sau viele Galopper, die putzen „erdulden“. Aber nicht sonderlich genießen. Nicht, weil die besonders grob angefasst werden, sondern weil sie gedanklich schon lange beim nächsten Schritt sind und sie sich gestört fühlen, wenn das jetzt ewig lange dauert. Wer muss schon wie geleckt aussehen, Hauptsache schnell laufen. Dahingehend versteht das Vollblut eben vor allem seinen Job und hat keinerlei Sinn für unnötige Bürstenstriche. Mach zackig, wir haben Arbeit.
Satteln darf gerne schnell gehen, der Kopf wird eh von selbst in die Trense gesteckt und dass sie die Schnallen nicht noch selbst zumachen, ist auch schon alles.
Beim Aufsteigen bleibt niemand stehen. Warum auch? Wir reiten gleich eh los. So geht das Vollblut schon mal Richtung Trabring. Wer nicht im Gehen aufsteigen kann (und immerhin, wir werden ja hochgeworfen), hat halt Pech gehabt, liegt daneben, oder dahinter. Das Pferd jedenfalls hat kein Verständnis dafür, wenn sich da jemand so unendlich viel Zeit lässt. Und der Letzte, der noch in der Box ist, hat eh verkackt und wird dann erst recht hibbelig. Niemand möchte der Letzte sein.
Der Trabring ist für viele Vollblüter dann wiederum die innere Verschnaufause, bevor es ans laufen geht. Manchmal glaube ich, dass die dann gerne Pleasure Pferde wären. Echt, manche von denen schluffen sich nen Wolf. Findige Trainer verlangen gar, dass die sich biegen und stellen, sogar untertreten. Das ist besonders unbeliebt beim Vollblut, das am liebsten Monorail um den Trabring herum spielt und keinerlei Sinn für dieses Dressurgezuppel hat, sofern man ihm das nicht irgendwie schmackhaft macht. Und für die zehn Minuten – nä. Da legen die sich auch mal mit ihrem Reiter an, wenn der so was Unverschämtes will wie: Hals fallen lassen.
Beim Weg raus auf die Bahn, reißt dem Vollblut so langsam der Geduldsfaden. Wir galoppieren doch eh gleich. Wieso zappeln die da noch und lassen mich nicht laufen? So trippeln sie denn dahin. Die ganz coolen Exemplare machen das in sehr schnellem Schritt, um besonders Gelassen zu wirken. Und dann noch dieses Warten. Schließlich darf man ja erst los, wenn alle endlich auf der Bahn angekommen sind. Dabei hat das Vollblut den Ablauf schon lange auswendig gelernt und weiß ganz genau, dass es gleich Canter gibt. Der Rückspiegel fehlt ihm nur leider, sodass es keinerlei Sinn darin sieht, noch ein paar Schritte zu gehen, bevor es abspringen darf.
Endlich Canter. Da flitzen sie dann. Manche nach dem Motto: Wer schneller läuft, hat schneller frei und ist dann ganz und gar empört, wenn der fiese Arbeitsreiter obendrauf ihn dazu zwingt, hinter den Kollegen zu bleiben. Alles in allem verstehen sie aber den Unterschied zwischen drei Dingen: Arbeit, Training und Rennen. So sieht man nicht selten hoppelnde Vollblüter am langen Zügel, die sich nicht überholen wollen, weil sie anhand der Situation wissen: Ach, das ist nur Training. Wen interessiert das?
Arbeit … nun, da sieht es schon anders aus. Manche können das regelrecht vorab riechen. Bei uns müssen die heimlich auf die Lottafel geguckt haben, weil Trainer die Pferde, die Arbeit gehen, immer etwas schief hingehängt hat, damit das der Ottonormalarbeitsreiter auch versteht. Da kam man schon in die Box und das Pferd wusste Bescheid.
Beim Schritt reiten schließlich gibt es noch die, die bitte gerne alles jetzt erledigt haben. Auch dieses nervige Schrittreiten, während andere da schon relaxen. Die Kollegen, die hier noch auf Automatikmodus und: Jaja, kenn ich, kann ich, weiter, weiter – sind, die sind erst nach dem Abspritzen zufrieden. Nasse Beinchen heißt Feierabend. Tagespensum erfüllt, Pferd zufrieden. Jetzt bitte Heu und ein bisschen Weide, dann hatte ich einen guten Tag.

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Nika S. Daveron
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Achtung, dieser Post könnte Meinung enthalten. Meine Meinung. Gestatten, Nika S. Daveron. Autorin und Turfteufel in einer Person. Sie finden mich auf der Rennbahn, in einem meiner Bücher oder auf Arschlochpferd.de.

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