Insider-Talk mit Filip Minarik: „Jetzt will ich fit werden für das normale Leben“

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1.669 Rennen hat Filip Minarik in seiner Laufbahn gewonnen. Er ist einer der erfolgreichsten Jockeys der jüngeren Vergangenheit in Deutschland. Doch ein schwerer Unfall am 3. Juli veränderte sein Leben gravierend. Exklusiv im Insider-Talk auf dem RaceBets-Blog berichtet er darüber und über seine Zukunftspläne.

„Habe Weihnachten sehr genossen“

Das Weihnachtsfest 2020 war für Sie sicherlich ein ganz besonderes. Wie haben Sie diese Tage verbracht?

Filip Minarik: Weihnachten 2020 war schon ganz besonders für mich, weil ich an keinem Renntag am 26. Dezember teilnehmen und auch kein Gewicht machen musste, wie in der Vergangenheit, als ich am 24. Dezember schon mal 51 Kilo in Singapur in den Sattel zu bringen hatte. Es war ein reines Familienfest. Ich habe das mit meiner Frau und meiner Tochter sehr genossen.

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„Kann mich an nichts erinnern“

Ihr Unfall in Mannheim ist nun ein halbes Jahr her. Wie haben Sie diesen Tag inzwischen verarbeitet? Welche Erinnerungen an diesen Tag sind wieder zurückgekehrt?

Filip Minarik: Der Unfall liegt nun ein halbes Jahr zurück. Ich kann mich an gar nichts erinnern von diesem Tag, auch nicht an meine Anreise nach Mannheim oder an die Vorbereitung oder an einen Ritt, da ist gar nichts mehr. Die Verarbeitung wird, so glaube ich, noch einige Zeit dauern. Ich arbeite daran mit einer Neuropsychologin. Sie sagt, dass das alles noch verarbeitet wird. Bis jetzt sind keinerlei Erinnerungen an diesen Tag zurückgekehrt. Das ist nur ein Loch von ungefähr drei Monaten.

„Als Erstes wollte ich zu meiner Frau und zu meinem Kind“

Haben Sie in der Zeit des Komas bewusst etwas wahrgenommen von Ihrem Umfeld? Wann sind Sie aufgewacht? Und was haben Sie als Erstes empfunden?

Filip Minarik: Bewusst habe ich aus meinem Umfeld gar nichts wahrgenommen. Meine Frau hat mir immer Spielzeug von meiner Tochter mitgebracht, auf dem man Nachrichten draufsprechen und abhören kann. Diese habe ich unbewusst ein bisschen wahrgenommen. Als ich zum ersten Mal eine Nachricht gehört habe, war es die, dass Patrick Gibson Papa wird. Ich wusste sofort, dass seine Tochter am 25. Dezember zur Welt kommen wird. Was ich als erstes mitbekommen habe, ist sehr verschwommen, das lässt sich nicht beschreiben. Ich weiß das Datum gar nicht. Die Aufwachphase selbst dauerte ungefähr einen Monat. Als Erstes wollte ich zu meiner Frau und zu meinem Kind. Ich wusste sofort, dass ich verheiratet bin und ein Kind habe, dass ich sie liebe und sie wiederhaben möchte. Gedanken an den Beruf waren zunächst nicht da, sondern erst einmal nur meine Familie.

Hein Bollow mit Katja und Filip Minarik im Portrait am 26.03.2017 in Düsseldorf
Hein Bollow mit Katja und Filip Minarik im Portrait am 26.03.2017 in Düsseldorf

Die Liebe war entscheidend

Die gesamte Turfgemeinde hat mit Ihnen und Ihrer Familie um Ihr Leben gebangt. Sie haben gesagt, „die Liebe meiner Frau hat mich gerettet“. Können Sie das genauer erläutern?

Filip Minarik: Ich habe die ganze Zeit nur an meine Frau gedacht, alles andere war zweitrangig. Sie ist damals auch nach Mannheim gefahren. Ich glaube, ohne sie würde ich jetzt noch in Mannheim irgendwo auf Eis liegen. Ich denke, sie hat mein Leben gerettet, das sollte so sein. Die Liebe meiner Frau und zu meiner Frau ist wirklich stark, das ist echte Liebe, eine Sache, an die ich mein Leben lang nicht geglaubt hatte und jetzt werde ich eines Besseren belehrt.

„Noch ein langer Weg zurück zum normalen Leben“

Wie haben Sie sich wieder ins normale Leben zurückgekämpft?

Filip Minarik: Zum normalen Leben habe ich mich noch nicht zurückgekämpft, bis dahin ist es noch ein langer Weg. Ich bin schon wieder einigermaßen im Leben drin. Ich wasche mich selber, esse selbst, das ist alles okay. Aber ein normales Leben kann man das noch nicht nennen, wahrscheinlich erst, wenn ich wieder Arbeit habe.

Wie geht es Ihnen aktuell? Welchen Behandlungen müssen Sie sich noch unterziehen?

Filip Minarik: Ich gehe jeden Tag zur Reha, vier bis fünf Stunden bei Herrn Dr. Schäferhoff in der Media-Park-Klinik am Hansaring in Köln. Da werde ich in Sachen Fitness richtig hart herangenommen. Das ist wie Arbeiten für mich. Damals habe ich das immer vor Tokio gemacht, wenn ich für Japan fit werden wollte. Jetzt will ich fit werden für das normale Leben.

„Die Solidarität war großartig“

Vor allem durch eine Spendenaktion, die Ihr Kollege Patrick Gibson ins Leben rief, erhielten Sie große Unterstützung. Was bedeutet Ihnen diese Solidarität in solch einer Zeit? Wem möchten Sie ganz besonders danken?

Filip Minarik: Die Solidarität war großartig, ich habe nie gedacht, dass in unserem Sport so viele an einem Strang ziehen, nicht nur im deutschen, sondern auch im internationalen Rennsport. Das war überwältigend für mich. Die Spendenaktion war grandios. Mein ganz großer Dank gilt Patrick Gibson, der sie ins Leben gerufen hat, an Gregor Axler, der die ganzen Engländer richtig wahnsinnig gemacht hat, Freddie Tylicki, der die Sache in England noch einmal vor Ort angeschoben hat und Agent Adam Harrigan, der die Japaner motiviert hat. Alle haben unheimlich zusammengehalten und sehr viel Geld für mich zusammengetragen.

Eduardo Pedroza, Filip Minarik und Patrik gibson im Portrait am 20.05.2017 in Düsseldorf

„In Japan hat man mein Schicksal auch unheimlich wahrgenommen“

Sie haben gesagt, dass Reiten für Sie nicht mehr in Frage kommt. Sie haben aber bereits einen Artikel für eine japanische Zeitung geschrieben. Können Sie das genauer erläutern? Wie hat man in Japan an Ihrem Schicksal Anteil genommen?

Filip Minarik: In Japan wird der Rennsport so richtig großgeschrieben. Ich war dort ein ganz kleiner Mann aus der zweiten oder dritten Liga. Trotzdem hat man auch dort mein Schicksal unheimlich wahrgenommen. Es war in jeder Zeitung. Sie haben sehr viel Geld gespendet, das war sehr beeindruckend. Japan ist meine zweite Heimat geworden in den vergangenen zwei, drei Jahren. Ich liebe dieses Land und die Kultur sowie den Rennsport dort. Man hatte mir angeboten, zum großen Rennen Arima Kinen an Weihnachten die Wettprognosen für eine Zeitung zu schreiben. Das war für mich eine Riesenehre. Es macht mir auch einen sehr großen Spaß, die Formen zu analysieren. So kann ich mir meine Zukunft vorstellen, auch in Deutschland.

Hoffnung auf Job im Rennsport

Haben Sie bereits weitere Zukunftspläne?

Filip Minarik: Zukunftspläne habe ich bisher nie betrieben. Ich habe in den letzten 30 Jahren stets etwas im Rennsport gemacht, habe Rennen geritten und mich um dieses Metier gekümmert. Andere Erfahrungen habe ich nicht. Ich hoffe, dass sich ein Job für mich findet mit meinen Erfahrungen innerhalb des Rennsports, dass ich dies umsetzen kann. Das ist meine große Hoffnung.

Aviateur siegt unter Filip Minarik im Dortmund Grand Prix - Gruppe 3 am 20.06.2020 in Dortmund
Aviateur siegt unter Filip Minarik im Dortmund Grand Prix – Gruppe 3 am 20.06.2020 in Dortmund

„Möchte zur Rennsport-Community zurückkehren“

Worauf freuen Sie sich 2021 am meisten? Was möchten Sie so schnell wie möglich am liebsten tun?

Filip Minarik: Am meisten freue ich mich auf die Normalität, wenn Corona vorbei ist und man wieder ganz normal zu einem Renntag fahren kann. Ich würde schon sehr gerne in Köln auf die Bahn gehen, wo alle da sind und sich treffen, wie im Biergarten. Das wäre ein Traum, aber natürlich habe ich, wie wir alle, noch keinen Plan, wie weit wir noch davon entfernt sind. Ich möchte gerne zur deutschen Rennsport-Community zurückkehren, die die letzten 20 Jahre mein Leben war und hoffe, dass sich dort eine Aufgabe für mich findet. Das war und ist mein Leben, ich kann nichts anderes, und ich freue mich enorm, wieder dabei zu sein.

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Michael Hähn
Michael Hähn
Unser Autor Michael Hähn arbeitet als freier Journalist in Baden-Baden. Der Galopprennsport ist seit vielen Jahren sein Metier, und seine Leidenschaft sind Rennveranstaltungen in Deutschland und auf der ganzen Welt.

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