Sie legt ihre bislang erfolgreichste Saison hin – Sarah Biessey, Rennreiterin aus München hat bereits neun Treffer in 2022 auf ihrem Konto stehen. Sogar in Baden-Baden und Hamburg zeichnete sich die 25-jährige aus. Gründe genug für ein zweites Insider-Talk auf dem RaceBets-Blog, dreieinhalb Jahre nach dem ersten Gespräch.
Sie haben sich Jahr für Jahr in der Statistik weiter verbessert und erhalten immer mehr Chancen von den verschiedensten Quartieren. Wie sehen Sie die Saison 2022 rückblickend?
Sarah Biessey: Rennen reiten lernt man bekanntlich nur durchs Rennen reiten. Ich freue mich, dass ich immer mehr Chancen bekomme, dass mittlerweile auch große Trainer wie Henk Grewe oder Roland Dzubasz auf mich aufmerksam werden. Besonders freut es mich jedoch, neue Kontakte knüpfen zu können, wie z.B. Marco Angermann und Sarka Schütz, welche mir immer öfter Chancen geben. Die Ziele, die ich mir selbst Anfang des Jahres gesetzt habe, konnte ich leider nicht ganz erfüllen, dazu fehlen noch ein paar Siege. Auch wenn ich zuletzt stilistisch einen Durchhänger hatte, habe ich mich vor allem in Sachen Taktik, Ruhe und auch im Finish weiter entwickeln können. Das habe ich zu einem Großteil auch der British Racing School, und gleichzeitig der Mehl-Mülhens-Stiftung, die mir diese Reise möglich gemacht hatte, zu verdanken!
Kommen inzwischen die Trainer auf Sie zu oder wie kommen Sie zu Ihren Engagements? Wie intensiv beschäftigen Sie sich mit einem Rennen im Vorfeld?
Sarah Biessey: Teils, teils. Ich frage viel um Ritte an, mittlerweile bekomme ich aber auch Anfragen von Trainern, was mich sehr freut! Vor einem Renntag schaue ich mir alte Rennvideos meiner Pferde an, in denen sie gewonnen haben, aber auch Videos, die nicht der Form entsprechen. Hier versuche ich zu erkennen, was dem Pferd entgegen kommt, oder auch nicht. Gegebenenfalls analysiere ich noch die Gegner/Mitbestreiter und suche dort nach Besonderheiten (Frontrenner, Speedpferd, …) Falls möglich, hole ich mir Tipps bei Kollegen ab, die das Pferd bereits im Rennen geritten haben. Zu guter Letzt frage ich gerne auch mal im Führring bei den Trainern nach Besonderheiten der Pferde. Schlussendlich versuche ich dennoch ohne Vorbehalte ins Rennen zu gehen. Die Pferde reagieren, wie wir Menschen auch, unterschiedlich auf ihren Partner. Nur weil ich mit einem Pferd nicht gut harmoniere, bedeutet es nicht, dass das bei jemand anderem genau so ist. Andersrum gilt selbstverständlich das gleiche.
„Ilina hat gekämpft wie ein Löwe“
Mit Ilina in Hamburg und Trust on me in Baden-Baden holten Sie sich Treffer bei den Meetings in Hamburg und Baden-Baden. Welche Bedeutung hatten diese Siege für Sie und was waren die anderen bisherigen Highlights für Sie persönlich?
Sarah Biessey: Bei den vergleichsweise wenigen Ritten, die ich im Jahr ausführe und auch während der Meetings habe, sind solche Siege natürlich besonders schön. Der Sieg in Hamburg war aus vielen Gründen etwas Besonderes. Ich bin extra für diesen einen Ritt bereits am Mittwoch statt Freitag angereist, nach über 10 Stunden Autofahrt alleine war ich erstmal dementsprechend gelaunt. Als zum letzten Rennen des Tages die Boxen aufsprangen, blieb Ilina erstmal in der Box stehen und hat keine Anstalten gemacht abzuspringen. Auf 2.400 Metern hat man jedoch etwas Zeit, Boden gut zu machen, also erstmal halb so wild. Kurz vor dem Schlussbogen musste ich sie nochmals etwas aufwecken, bis dahin hat sie mir nicht das Gefühl gegeben, es könnte für ein Platzgeld reichen. In der Zielgeraden dann hat sie jedoch der Ehrgeiz eingeholt, und sie hat das ganze Feld von hinten aus aufgerollt, dabei gekämpft wie ein Löwe! Den Ritt habe ich wie einige andere von Frank Brieskorn vermittelt bekommen. Dank Frank entstand auch der Kontakt zu Sarka Schütz, worüber ich mich sehr freue! Dieser Ritt hat mir auch meine erste Nominierung für den „Ritt des Monats“ gebracht, die wir wenig später mit Rekordabstimmung gewinnen konnten.
Für den eigenen Stall Siege einzufahren und dann auch noch in Baden-Baden ist schon ein tolles Gefühl! Leider konnte Werner nicht mit auf der Bahn sein, er hat uns im Stall vertreten, damit seine beiden Reiter an den Rennen teilnehmen können. Ich muss gestehen, Trust on me und ich sind Zuhause keine besonders guten Freunde, muss es aber auch nicht immer sein. Nachdem sie bereits in München sowohl mit Hana Jurankova als auch mit Konstantin Phillip ein Rennen gewinnen konnte, ist der Knoten bei ihr so richtig geplatzt. Wir hatten vorab schon geplant im Vordertreffen zu gehen, dass sie schlussendlich jedoch so marschiert, dass selbst die anderen Frontrenner kaum hinterher kommen, war schon erstaunlich.
Die tolle Atmosphäre beim Auscantern auf dem Geläuf war unbeschreiblich. Ich genieße es jedes Mal sichtlich! Warum auch nicht, dafür trainiert man ja tagtäglich hart genug.
„Eines meiner Highlights war der Sieg mit Mister Onyx“
Eines meiner Highlights war ganz klar der Sieg mit Mister Onyx vergangenes Jahr in München. Es war nicht einmal ein wirklich schöner Ritt, aber die Tatsache, ein Rennen mit dem Pferd zu gewinnen, das mich seit Tag 1 begleitet, das anfangs wirklich schwierig war und regelmäßig seine Reiter abgeworfen hat (ich hatte auch das ein oder andere mal das Vergnügen), das Zuhause im Training nie wirklich gezeigt hat, was in ihm steckt, hat mir viel bedeutet. Ich habe mich früh gut mit ihm verstanden und war eigentlich seit Jahren seine ständige Reiterin bzw. Pflegerin. Mittlerweile hat er den Rennstall verlassen und genießt sein Leben als Freizeitpferd unter der Obhut der Tochter des Besitzers bei ihm Zuhause. Natürlich sind wir eng in Kontakt und ich besuche ihn hin und wieder.
Ihre Basis bildet der Stall von Werner Glanz in München. Wie sehen Sie die Möglichkeiten für eine junge Reiterin hier und generell in Riem? Und was sind Ihre Aufgaben am Stall neben dem Reiten?
Sarah Biessey: Ich bin von Beginn an bei Werner am Stall. Als Standort ist es schon sehr schwer, von München aus seinem Job nach zu gehen. Man kann beinahe jede Woche um die 1.000 Kilometer zu den Rennen und wieder nach Hause fahren. Dafür bietet Riem ein tolles Trainingsareal mitten in München, das ich erstmal nicht missen möchte. Meine Aufgaben am Stall beziehen sich auf weit mehr als „nur“ Reiten. Seit vielen Jahren schon übernehme ich den Job als „Reisefuttermeister“. Mittlerweile erledige ich auch alle Aufgaben eines Futtermeisters im Stall. Das fängt bei der Lot-Einteilung am morgen an, geht übers Füttern bzw. die Versorgung der Pferde bis hin zur Organisation und Vorbereitung zum Renntag. Seit ein paar Jahren pflege ich zudem die Website und versuche so gut wie möglich, bei allen Aufgaben im und um den Stall zu helfen. Ich denke, jeder der im Rennstall arbeitet, tut dies aus Leidenschaft zu den Pferden und zum Sport. Somit fallen mir die ganzen Aufgaben, die ich teils freiwillig mache, sehr leicht und ich habe Spaß dabei.
„Essen war immer Nebensache“
Welchen Wert legen Sie auf Ernährung und wie steht es um Ihr Gewicht? Haben Sie besondere Sportarten, die Sie für die Fitness gerne ausüben?
Sarah Biessey: Was anderen leicht fällt, stellt sich bei mir als große Hürde dar. Ich habe leider nie gelernt ausgewogen, gesund und bewusst zu essen. Essen war immer Nebensache und mir dementsprechend auch nie wichtig. Ich bin ohne Fleisch und Fisch aufgewachsen, es gab eigentlich immer nur Kohlenhydrate und Fertiggerichte auf den Tisch. Seit ich beruflich reite, spielt das Thema Ernährung gezwungenermaßen eine wichtige Rolle. Ich habe bereits einiges ausprobiert, bisher nur leider ohne Erfolg. Ich befinde mich allerdings auf einem guten Weg und werde jetzt vor allem den Winter dazu nutzen, dauerhaft mein Gewicht unter Kontrolle zu bekommen.
Ich war als Kind schon immer sehr sportlich und habe einige Sportarten wie Tennis, Fußball, Klettern, etc. mit viel Spaß und Freude ausgeführt. Wir haben im Stall einige harte Monate mit wenig Personal hinter uns. Da blieb leider nicht viel Freizeit. Meine Fitness hat sich deshalb auf Radfahren und Laufen reduziert. Seit Anfang November sind wir wieder gut aufgestellt, und es bleibt mir deutlich mehr Freizeit. Ich durfte Ende April diesen Jahres für eine Woche die British Racing School besuchen, hier haben wir zahlreiche Übungen und vieles Weitere mit auf den Weg bekommen, welchem ich mich nun vermehrt annehmen kann.
Wie schwer ist es für eine Frau in einer Männerdomäne Jockey?
Sarah Biessey: Das ist eine schwierige Frage. Ich finde von der Leistung her gibt es grundsätzlich keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Aussagen wie „Männer sind stärker als Frauen“ beispielsweise halten sich nicht mehr wirklich. Zum einen geht es nicht nur um Kraft, der stärkste Jockey kommt im Zweifel nicht gegen ein 500 Kilo-g Pferd an, zum anderen beweisen Jocketten wie Rachel Blackmore, Hollie Doyle oder natürlich auch Sibylle Vogt, dass eine Frau mindestens genauso gut reiten kann wie ihre männlichen Kollegen. Andererseits gehören Themen wie Kinderwunsch und Familie natürlich auch zum Leben dazu. Ob es für eine bestimmte Person überhaupt ein Thema ist, bleibt ihnen überlassen, aber es ist bestimmt einer der Gründe, weshalb es weniger Jocketten als Jockeys gibt. Auch merke ich einen Aufwärtstrend zum Verpflichten weiblicher Reiter seitens Trainer und Besitzern. Hier wird vermehrt drauf geachtet, ob ein Reiter zu seinem Pferd passt, als ob es der stärkste Reiter ist, den man buchen kann. So hatte ich zum Beispiel Ende letzter Saison das Glück, einen zweijährigen Hengst, den ich selbst eingeritten habe, debütieren zu dürfen. Auch anschließend habe ich mehrfach das Vertrauen bekommen, bis es mit dem Gewicht schwierig wurde.
Haben Sie Vorbilder unter den Frauen und Männern in Ihrem Beruf? Und wie kann man davon leben? Sie arbeiten im Hauptberuf ja als Medizinische Fachangestellte.
Sarah Biessey: Seit April 2021 arbeite ich hauptberuflich bzw. in Ausbildung im Rennstall. Meiner Tätigkeit als MFA gehe ich allerdings auf Nebenjobbasis weiterhin in gleicher Praxis nach. Ohne ein zusätzliches Einkommen würde ich wohl nicht zurecht kommen! Alleine die Reisen zu den Rennen könnte ich wohl kaum stemmen. Die Fahrten sind teuer, Spesen gibt es kaum. Fahre ich allerdings nicht zu den Rennen, kann ich das Reiten gleich sein lassen. Ich sehe die derzeitige Lage als Investition in meine reiterliche Zukunft und hoffe natürlich in naher Zukunft, gut vom Reiten leben zu können. Falls nicht, habe ich immer die Möglichkeit zurück in die Medizin zu gehen. Und sollte es irgendwann wirklich nicht mehr funktionieren, bin ich trotzdem froh diesen Schritt gewagt zu haben, ich würde es mir nie verzeihen, es nicht gewagt zu haben. Ich liebe meinen Job und werde ihn solange es Spaß macht, genießen.
Das eine klassische Vorbild habe ich nicht. Ich schaue mir bei verschiedenen Jockeys (wenn ich Namen nennen müsste, springen mir direkt William Buick, Hollie Doyle, Adrie de Vries,… in den Kopf) bestimmte Herangehensweisen ab, die mir gefallen und versuche diese umzusetzen, um somit meinen eigenen Stil zu verbessern. Rennen reiten bedeutet ja nicht nur auf dem Pferd zu sitzen und sich im Finish zu bewegen. Es geht ja auch um die richtige Vorbereitung, das Auftreten, die Kommunikation mit Trainern und Besitzern, …
Sind Auslandseinsätze auch ein Thema in der Zukunft für Sie?
Sarah Biessey: Absolut! Es ist ja kein Geheimnis, dass mein Trainer Werner Glanz in absehbarer Zeit in seine wohlverdiente Rente gehen wird. Wenn die Zeit gekommen ist, möchte ich auf alle Fälle meine Erfahrungen im Ausland sammeln. Ich habe bereits einen ungefähren Plan, aber wie wir ja alle wissen, können Pläne sich verwerfen, und es ist auch noch zu früh um Genaueres zu sagen.
Bis dahin bleibe ich in München im Stall 7.
Auf welche Pferde freuen Sie sich besonders in 2023? Und was sind Ihre Hoffnungen und Perspektiven?
Sarah Biessey: Wir haben den ein oder anderen Hengst, der sich als Wallach bestimmt mehr aufs Training und die Rennen konzentrieren wird. Besonders Limbo Dancer (Bruder zu Lambo) stehen seine Hormone im Weg. Quijana Starlet wird sich als Vierährige auch bestimmt gesteigert zeigen. Sie ist eher ein spätreifes Pferd.
Mit der neuen Führung beim Münchner Rennverein merken wir bereits jetzt einen leichten Aufschwung und hoffen natürlich, dass sich hier um die Rennbahn, die Trainingsanlage und den Stallungen was tut. Natürlich braucht das Zeit. Es ist schlichtweg nicht möglich, „Fehler“ der letzten Jahre innerhalb weniger Monate zu bereinigen.
Ich werde in etwa anderthalb Jahren meine Ausbildung beenden und hoffe mit diesem Tag an den Titel Jockey tragen zu dürfen.
Wie sieht ein normaler Tag für Sie? Gibt es etwas, das Sie sich besonders wünschen?
Sarah Biessey: Durch die neue personelle Lage ist jetzt alles glücklicherweise etwas leichter. Mein Arbeitstag beginnt in der Regel um 6 Uhr morgens im Stall. Gegen 12 sind wir mttags fertig, alle zwei Wochen arbeite ich nun abends noch einmal für 1 1/2 Stunden. 1-2mal pro Woche arbeite ich zudem für wenige Stunden in der Arztpraxis. Das ist nur möglich, da Werner selbst täglich im Stall mitarbeitet und auch abends kommt.
Ich wünsche mir von Herzen, dass der Rennsport, unser aller Leidenschaft, im Ansehen steigt! Dass wir das ein oder andere optimieren (Thema: Stock, Zweijährige, …) und dabei aber nicht vergessen, dass wir alle am gleichen Strang ziehen! Es bringt uns nicht vorwärts, wenn der Dachverband gegen seine Aktiven arbeitet und Ihnen Steine in den Weg legt.
Gerade in der heutigen Zeit, wo alles schnelllebig und digital abläuft, wünsche ich uns allen, etwas mehr Achtsamkeit auch für die kleinen Dinge im Leben. Habt Spaß bei dem, was ihr tut, und geht mit offenen Augen und Ohren durchs Leben. Bleibt gesund und munter, bis bald.