Mit Jungpferd im Corona-Winter: In den letzten Wochen wurde “gesund bleiben” zu einer immer härteren Challenge. Das Wetter spielt verrückt: In meinem Bekanntenkreis häufen sich die Koliken und gleich 2 Pferde landeten alleine in den letzten Tagen auf dem OP-Tisch. Der Boden war teils so glatt, dass die wenigen Meter von der Reithalle zur Stallgasse zur gefährlichen Rutschpartie wurden (600 Kilo Pferd + Eisen + Eis = Problem!). Und als Sahnehäubchen dürfen die bayrischen Amateure ihre Pferde nicht trainieren, sondern nur gesund erhalten.
Doch was genau bedeutet “gesund erhalten”, wenn dein pubertierendes Jungpferd von Woche zu Woche greller und explosiver wird?
Auf einem Pulverfass
Bei Duke merke ich zunehmend den Aspekt der Auslastung: Die Koppeln sind wetterbedingt gesperrt und seit Wochen bewegen wir uns nur in der unteren Wohlfühlzone. Paddock, Führmaschine, Bodenarbeit und lockere Einheiten in der Reithalle (die Longierhalle dürfen wir je Pferd nur 2 x pro Woche belegen). Mein sonst so braves Pferd wird zunehmend guckig und schreckhaft. Immer öfter schießt er los, bockt, macht Hand- oder Kopfstand. Verständlich, aber bei dem rutschigen Boden extrem gefährlich.
Zwischen niedrigen Temperaturen, dünnem Fell und Wachstumsschub möchte ich ihm das Futter ungern reduzieren; der Große setzt ohnehin so schwer Gewicht an. Mit dem EQUILISER bekommt er seit neustem mehr Magnesium ins Futter und ich hoffentlich etwas mehr Gelassenheit ins Pferd. Zur Kolik-Prävention gibt es bei komischem Wetter weiterhin Mash – den unappetitlichen Heucob-Brei hat er mir demonstrativ vor die Füße gespuckt und nie wieder angerührt. Am leichtesten würde Arbeit das Problem lösen …
Kill the virus, not the Rider
Dass Einzel-Reitstunden diesen Winter wieder verboten wurden, ist und bleibt mir unverständlich. Wenn der Trainer auf der Tribüne sitzt und seinen Schülern per Walkie-Talkie Anweisungen gibt, ist das Infektionsrisiko schlicht und ergreifend bei Null. Doch die überkorrekte deutsche Bürokratie hat den Umgang mit einem hunderte Kilo schweren Lebewesen mal schnell mit Golf und Fitnessstudio verglichen, und weil die Golfer keinen Coach haben dürfen, dürfen die Reiter auch nicht. Und zahlreiche Existenzen gehen völlig grundlos den Bach runter …
Dabei ist guter Reitunterricht auch aktiver Tierschutz: Den jegliche professionelle Korrektur von Reitersitz und Hilfengebung verbessert Gesundheit und Wohlbefinden der Pferde. Auch der Sicherheitsaspekt ist wichtig: Je besser ein Pferd gymnastiziert an den Hilfen steht, desto leichter lässt es sich durch alltägliche und ungeplante Situationen dirigieren (ob es nun plötzlich kreuzende Stallkollegen oder ungeplant frei gewordene Pferde sind: Bremse und Lenkung sollten funktionieren).
Jungpferd im Corona-Winter: Explosiv
Duke ist in Sachen Rittigkeit Gott sei Dank ein Musterschüler: Selbst aus dem Galopp lässt er sich leicht und schnell zum Halten durchparieren. Sein deutlich komplizierterer Vorgänger Lord* hatte lange Zeit Probleme, Hilfen durch den Körper zu lassen: Wenn ich plötzlich bremsen wollte, drückte er dagegen und gab Gas. An einem besonders schlechten Tag haben wir ein plötzlich haltendes Pferd (Trab-HaltÜbergang ohne Vorwarnung) gerammt und von den Füßen geholt. Dafür bleibt Duke an der Gymnastik-Front eine Herausforderung: Locker und entspannt über den Rücken zu laufen und den Hals fallen zu lassen, fällt ihm einfach phasenweise schwer. Liegt es an mir? Am Wachstum? An der Lauflust (mir Kopf hoch kann man schneller beschleunigen)? Oder an der Stimmbandlähmung, wegen der er einen hörbaren Atemton und im Hochleistungsbereich ggf. auch Einschränkungen hatte? Vermutlich eine Mischung aus allem.
Vom virtuellen Coach zum realen Schreckgespenst
Nachdem professionelles Feedback nicht möglich ist, hatte ich mir einen Pivo geleistet: Einen kleinen Smartphone-Halter, der mir beim Reiten automatisch folgt und mich filmt (Stativ, auf dem sich das Handy dreht). So wollte ich mir wenigstens selbst die Ritte anschauen: Was ich beim nächsten Mal anders und besser machen muss. Gute Idee, nur leider hatte ich meine Rechnung ohne die Dressurpferde gemacht. Das schlichte schwarze Stativ in der Reitbahn löste bei mehreren Vertretern der Strampler-Fraktion akute Nervenzusammenbrücke aus … und so baute ich ihn wieder ab. Nun reite ich wieder nach Bauchgefühl, schiele gelegentlich in die Spiegel und hoffe, dass ich meinen Jungspund bald wieder ordentlich und risikolos auslasten kann.
Umringt von Gefahren
Doch seien wir ehrlich: Normalität ist in weiter Ferne. Besonders unlustig finde ich, dass uns in München gleich 3 Infektionskrankheiten bedrohen. Eine ist gefährlich für Menschen und zwei für unsere Pferde. Zum Glück schützen dieselben Hygiene-Maßnahmen vor allen 3 Gefahren und so halte ich noch mehr Abstand, wasche und desinfiziere mir noch öfter die Hände und achte vor allem darauf, dass so wenige Menschen wie möglich mein Pferd anfassen. Zum Glück ist die Olympia Reitanlage so riesig, dass sich die Reiter problemlos aus dem Weg gehen können. Besucher sind schon seit Beginn der Pandemie streng verboten: Man kommt, versorgt sein Pferd und geht wieder. Und 1 Pfleger pro Stalltrakt hilft im Ernstfall hoffentlich auch, die einzelnen Gebäude separat und sauber zu halten.
Hoffnung und Vorsicht: Das ist und bleibt mein Motto, um Duke gesund durch den Winter zu bringen. Drückt uns die Daumen.
* Randnotiz: Wenige Wochen, nachdem Lord bei der Dressurarbeit wirklich und völlig entspannte und rittig wurde, verstarb er morgens beim Frühstück an einem Aortenabriss. Er wurde nur 11 Jahre.