Eine Frage der Anlehnung
Es ist immer spannend, ein neues Pferd kennenzulernen. Die 5-jährige Maxios-Tochter Mabou hatte den Rennstall im Herbst 2020 verlassen; im Mai 2021 holte ich die schöne Schimmelstute in Berlin ab.
Das Problem: Die Anlehung
Mabou wurde Problemen mit der Anlehung abgegeben: sie wich in allen erdenklichen Formen der Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul aus. Dazu kam punktuelles Headshaking: Heißt, sie schlug sogar ohne Spannung auf den Zügeln mit dem Kopf.
Im Rennsport spielt die Anlehnung eine eher untergeordnete Rolle: Vor allem im Schritt und Trab sind viele Rennpferde eher westernmäßig lockere Zügel und einen entlastend sitzenden Reiter gewöhnt (Ausnahmen bestätigen die Regel). Im Reitsport ist hingegen eine ständige, weiche Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul erwünscht (Ausnahmen bestätigen die Regel). Diese kommt zu Stande, denn ein Pferd fleißig aus der Hinterhand schiebt und diesen Schwung über einen lockeren Rücken bis in die Reiterhand bringt. Mit dieser positiven Spannung wird aus der Wirbelsäule quasi eine Brücke gebaut, mit der ein Pferd schadlos das Reitergewicht (tendenziell mehr, als bei einem Jockey) tragen kann.
Bei Mabou hat eben dieser Schwung aus dem Hinterbein über den lockeren Rücken in die Reiterhand nicht funktioniert. Aus der Hinterhand kam kein Schwung, der Rücken war nicht locker und vorne hat sie sich teils sehr aggressiv gegen jede Form von Handeinwirkung gewehrt.
Viel Platz und viel Ruhe
Reitställe in der Großstadt haben meist entscheidende Nachteile: Es gibt wenig Koppeln und viel Verkehr auf den Reitflächen. Die Warmblutreiter haben oft wenig Verständnis, wenn ein Vollblut mit dem wilden Durcheinander der Reitbahn anfangs überfordert ist. Und Stress, wenn das Vollblut dann doch mal locker und fleißig vorwärts galoppiert. Entsprechend machte Mabous Umzug aus der Großstadt aufs Dorf, mit riesigen Koppeln und leeren Reitplätzen, das Training vermutlich leichter. Vormittags geht sie 6 Stunden auf große Koppeln und nachmittags findet man immer irgendwann und irgendwo ein ruhiges Eckchen, wo man ohne Stress und Gegenverkehr arbeiten kann.
Wenig und luftiges Equipment
In den ersten Tagen habe ich ein wenig Equipment durchgetestet und schnell festgestellt: weniger ist bei Mabou mehr. Reitsport-Equipment ist meist auf dem Prinzip der maximalen Druckverteilung konzipiert: Große Sattelkissen und breite Riemen sollen den Druck bestmöglich verteilen. Ein ziemlicher Mist, findet zumindest Mabou, und zeigt teils massive Abwehr-Reaktionen. Sie mag wenig, leichtes und gut sitzendes Equipment. Ein kurzer, leichter Sattel. Statt Metall ein Kunststoff-Gebiss. Und ihre Biothane-Trense mit Aussparung des Nackenbands (auf Druck am Nackenband reagiert sie extrem empfindlich) sollte in den nächsten Tagen ankommen.
Sensible Pferde werden im Reitsport gerne in Lammfell gewickelt, doch auch das mag Mabou überhaupt nicht.
Können und Wollen
Die ersten Tage ließ ich Mabou nur locker im Roundpen oder an der Longe joggen. Auffallend: In der Hinterhand passierte ziemlich wenig. Nachdem der Tierarzt sie durchgecheckt hatte, kamen als nächstes hinten Eisen auf die Hinterfüße. Damit sie besser Last aufnehmen kann.
Knapp 2 Wochen machte sie die Bodenarbeit gut mit und wurde kontinuierlich besser und lockerer; dann kippte sehr plötzlich die Laune. Mabou hatte keine Lust mehr und wollte Heim gehen: Und das versuchte die eine ganze Weile sehr eindringlich und auf allen erdenklichen Wegen. Auch Rückwärts und auf den Hinterbeinen.
Die Kennenlernphase: Mabou
Am nächsten Tag wurde der Sattel ausgepackt. Wir begannen erneut im Rounpen mit Mini-Einheiten: Stilllstehen an der Aufsteigehilfe, Aufsitzen, ein Weilchen stehen und dann eine Runde Schritt. Von da an tasteten wir uns ganz langsam und ohne Stress vorwärts. Das Kernproblem blieb: Das ganze Pferd ist angespannt. Aus der Hinterhand kommt kein Schub, der Rücken ist nicht locker und im Maul mag sie folglich überhaupt nicht angefasst werden. Wenn ich in dieser Phase auch nur marginal an die Zügel kam, reagierte sie elektrisch bis hysterisch. Rollte sich ein, sperrte das Maul auf und/ oder drückte plötzlich und kräftig gegen die Reiterhand und riss mir die Zügel aus der Hand. Mit Wendungen tat sie sich schwer und wollte ausschließlich am äußeren Zügel geführt werden. Den inneren Zügel, der im Reitsport für Stellung und Biegung genutzt wird, durfte ich nicht mal anschauen.
Eine Verlegung des Trainings nach draußen verbesserte die Lage deutlich: Mehr zu gucken und weniger Kurven. Da sich Mabou kaum anfassen ließ, versuchte ich erstmal etwas Losgelassenheit im Kopf zu erarbeiten. Wir bummelten im gemütlichen Schritt über den Hof. Standen rum. Guckten in die Landschaft. Klönten mit Stallkollegen. Wir verbrachten viel Zeit miteinander und bewegten und dabei denkbar wenig. Und siehe da: Von Mal zu Mal atmet Mabou etwas mehr und verspannt etwas weniger.
Wir probieren es mit Gelassenheit
Spaß, Motivation und Entspannung: Das wünsche ich mir mit und für Mabou. Also habe ich die ganzen sinnvollen und eher faden Themen vorläufig aus dem Trainingsplan gestrichen. Stattdessen gehe oder reite ich jeden Tag eine kleine Runde mit ihr spazieren. Draußen ist sie noch aufgeregt, doch das wird von Tag zu Tag besser. Da Gas und Bremse und Lenkung noch nicht ideal funktionieren, halten wir uns tunlichst aus allen Stresssituationen raus.
Mein Ziel für dieses Jahr ist, dass Mabou locker und motiviert vom Hof schreitet und wir einen schönen Ausritt in allen drei Grundgangarten unternehmen können. Losgelassenheit beginnt im Kopf; da werden wir anfangen.