Der Schauplatz vieler Filme, Bücher, Opern oder Theaterstücke ist die Stadt der Liebe, der Romantik und der Mode. Wenn man auf der Straße wahllos Menschen fragen würde, welche europäische Stadt sie unbedingt einmal besuchen wollen, würden die meisten von ihnen mit verträumtem Blick nicht lange überlegen, denn die Antwort ist leicht: Paris.
Der Glöckner von Notre Dame, das Phantom der Oper oder Les Misérables, wir kennen sie alle. Sie und die Legenden, die sich um die zahllosen Sehenswürdigkeiten der magischen, französischen Hauptstadt ranken. Nicht alle davon haben ein Happy End oder auch nur einen Funken Wahrheit in sich.
Wenn aber am Sonntag, am 06. Oktober um 16:05, das Startsignal auf der Rennbahn von Longchamp ertönt, haben wir alle vielleicht die Chance, Augenzeugen einer sagenumwobenen Begebenheit zu werden. In der bald hundertjährigen Geschichte des Prix de l’Arc de Triomphe, der seit 1920 ausgetragen wird, wäre zum ersten Mal tatsächlich ein Wunder möglich: Ein bestimmtes Pferd könnte zum dritten Mal hintereinander die Siegerkrone mit nachhause nehmen. In diesem Jahr könnte die Austragung von einem der berühmtesten Rennen der Welt, mancherorts sogar als der Heilige Gral unter den Rennen gefeiert, sogar zu einem historischen Showdown werden.
Enable – oder die Queen, wie sie wohlverdient auch genannt wird – ist nach Paris gereist, um zu schaffen, was noch nie ein Pferd vor ihr erreicht hat. Die fünfjährige Nathaniel-Tochter gewann das prestigeträchtige Rennen bereits 2017 und 2018 in überragender Manier. Zwar hat es auch zuvor mit Treve oder der Legende Alleged schon Doppelsieger gegeben, aber keiner von ihnen konnte noch ein drittes Mal siegreich sein. In diesem Jahr winken der von John Gosden trainierten Stute jedoch sogar 5000000 Millionen Euro Gesamtdotierung, wenn sie sich am Sonntag mit ihrem ständigen Jockey Lanfranco Dettori aufmacht, um ihren Titel zu verteidigen und ihre Siegesserie fortzusetzen.
Bisher wurde Enable erst einmal besiegt, seit Mai 2017 ist sie ungeschlagen unterwegs. Bei den Buchmachern rangiert sie dementsprechend an erster Stelle, auch unter Rennsportexperten findet sie zahlreiche Fans und Unterstützer, die ihr den dreifachen Erfolg zutrauen. In ihrer beeindruckenden Karriere gewann sie bislang zehn Gruppe 1-Rennen. Der Arc soll das letzte Rennen für sie werden, bevor sie in die Zucht wechselt. Der kommende Sonntag wird zeigen, ob sie sich nun wahrhaft unsterblich machen kann. Doch natürlich lauert in diesem prestigereichen Rennen eine ebenfalls starke Konkurrenz darauf, die Queen zu entthronen.
Einer, der die Herausforderung erhobenen Hauptes annehmen wird, ist der französische Derbysieger Sottsass. Auf ihm liegen die großen Hoffnungen der Gastgeber aus Frankreich, die ihren letzten Sieger vor fünf Jahren mit der famosen Treve stellten. Nach dem Sieg im Derby folgte für Sottsass eine dreimonatige Rennpause, verordnet von Trainer Jean-Claude Rouget, in der er optimal auf den nächsten großen Karrierestart vorbereitet werden sollte.
Im September meldete er sich mit einem Sieg im Prix Niel zurück. Als dreijähriger Hengst genießt der Siyouni-Sohn zudem den Gewichtsvorteil von satten drei Kilogramm, genauso wie sein Altersgenosse Japan aus dem irischen Quartier von Aidan O’Brien. Der Galileo-Sohn ließ einem vielversprechenden dritten Platz im Epsom Derby souveräne Siege in den King Edward Stakes und im Grand Prix de Paris folgen. Bei seinem Triumph in den International Stakes in York schlug er den Weltranglistenzweiten, Crystal Ocean. Sowohl mit Sottsass, als auch mit Japan kann beim diesjährigen Prix de l‘Arc de Triomph zu rechnen sein.
Aus deutscher Sicht sicherlich interessant zu beobachten, ist das Abschneiden des überragenden Siegers aus dem Großen Preis von Baden, Ghaiyyath. Der vierjährige Dubawi-Sohn fertigte die deutsche Konkurrenz fast leichtfertig ab und besiegte dabei unter anderem den derzeit amtierenden Derbysieger Laccario.
Ghaiyyath wird von Charly Appleby für Godolphin trainiert und geht zum ersten Mal im Prix de l’Arc de Triomphe an den Start. Allerdings beeindruckte er mit seinem Handgalopp nicht nur die deutschen Zuschauer, sondern wird seither sogar als einer der Mitfavoriten gehandelt. Die Rennbahn Paris-Longchamp ist ihm vertraut: Ein Sieg auf Gruppe 2-Ebene und eine Platzierung im Prix Ganay auf Gruppe 1-Niveau stehen dort dieses Jahr schon für ihn zu Buche. In diesem Rennen hieß der Sieger am Ende Waldgeist, der aus einer deutschen Zuchtlinie stammt und auch am Sonntag wieder sein Gegner sein wird. Allerdings scheint Ghaiyyaths Formkurve nach oben zu weisen. Ein gutes Abschneiden wäre außerdem aus deutscher Perspektive wohl nicht unwichtig.
Ebenfalls ein Aspirant auf den Sieg ist French King, der der deutschen Turfszene inzwischen wohlbekannt sein sollte. Der vierjährige French Fifteen-Sohn wird am Wettmarkt zwar eher als Außenseiter gehandelt, aber seine diesjährige Deutschlandtournee war mehr als nur erfolgreich. Henri Alex Pantall zeichnet als verantwortlicher Trainer für French King, der mit seinem Stammjockey, dem legendären Olivier Peslier, nicht nur den Carl Jaspers-Preis, den Hansa Preis, sondern auch zuletzt den Großen Preis von Berlin gewinnen konnte. Auch für French King ist es der erste Versuch, den Prix de l’Arc de Triomphe zu gewinnen. Sein Jockey hingegen ist eher ein Routinier auf diesem Gebiet: Viermal ritt er hier bereits ein Pferd zum Sieg. Diesen Wert toppt von den anwesenden Reitern wohl nur Enables Partner Lanfranco Dettori, denn er war schon fünfmal siegreich.
Wird einer von ihnen derjenige sein, der die Queen entthront? Oder gelingt Enable am Sonntag das Unfassbare? Nur einer der sieben bisherigen Doppelsieger – die obengenannte Treve – trat noch einmal an, um auch den dritten Triumph zu erringen. Selbst sie scheiterte an dieser historischen Aufgabe. Es wird spannend wie nie beim Prix de l‘Arc de Triomph auf der Bahn von Longchamp.
Ein Blick dorthin empfiehlt sich auch für alle deutschen Turffans – nicht nur für eine gute Wette auf das richtige Pferd, sondern auch für eine Einordnung, wo der deutsche Rennsport zurzeit steht. Die letzte Siegerin aus Deutschland war die großartige Danedream aus dem Quartier von Peter Schiergen, die im Jahr 2011 unter Jockey Andrasch Starke als Erste ins Ziel kam. Vor ihr war es als bis dahin einzigem deutschen Pferd nur Star Dream im Jahr 1975 gelungen, der damals mit einer Siegquote von 1197:10 für seinen Trainer Theo Gieper auch als bislang größter Außenseiter triumphierte. Hurricane Run, vom Gestüt Ammerland aus einer Surumu-Tochter gezogen, gewann zwar 2005, wechselte allerdings wenige Monate zuvor zum Syndikat Coolmore nach Irland.
Wenn der Startpfiff über die Tribünen weht, wird aber sich sowieso niemand mehr dem Sturm der Begeisterung erwehren können – egal, aus welchem Land. Eingeführt, um das Ende des Ersten Weltkriegs zu feiern, hat der Prix de l‘Arc de Triomph seinen Zauber nie eingebüßt. Und wem halten Sie die Daumen, wenn es um die Krone von Paris geht?