Im Rennsport ist man ständig mit Schuld konfrontiert. Wer oder was ist Schuld daran, dass dieses Pferd nicht gewonnen hat? Oder nicht gut in der Arbeit unterwegs war. Oder sich so aufgeregt hat. Wer war es? Das ist definitiv ein Spiel, für das man mehrere Detektive braucht, um anschließend zu einem Ergebnis zu kommen. Natürlich passiert das nicht bei jedem Pferd, aber es ist doch eher selten, dass auch mit schlechtem Laufen alle zufrieden sind und wissen, dass es gerade nicht besser ging – sonst würde man ja schließlich nicht laufen lassen. Heute gucken wir uns also einmal die Kettenreaktion an, die jeder Journalist mit der Frage auslöst: “Woran hat es denn nun gelegen?”
Der Jockey: “Das Stehvermögen war noch nicht ganz da, der kommt ja gerade frisch in die Saison und er brauchte das Rennen noch.”
Was impliziert: Ich bin nicht Schuld, ich bin gut geritten.
Dann muss es ja jetzt am Trainer gelegen haben, oder? “Er ist ja auch noch jung und das war sein drittes Rennen, das war zum üben.”
Hm … also am Trainer hat es auch nicht gelegen. Der wollte ja eh nur üben. Trotzdem müssen die Arbeitsreiter her:
“Was war denn jetzt das Problem?”
“Ich habe ja gesagt, dass man den nicht von hinten reiten darf, aber auf mich hört ja wieder keiner.”
Also war es der Jockey? Ne, da weiß der zweite Reiter noch was:
“Der geht ja überhaupt so komisch, seitdem der Schmied das letzte Mal da war.”
Daher muss es wohl der Schmied gewesen sein.
Was man ihnen bei dieser Lügenkette ja zu Gute halten muss: Selten kommt dabei so was wie: “Das Pferd ist schuld” heraus. Trotzdem ist allen Beteiligten klar, dass hier bis zu einem gewissen Grad nur Floskeln ausgetauscht werden. Übrigens auch den Besitzern. Ich glaube, manche fragen das einfach trotzdem. So aus Prinzip. Ich würde das wahrscheinlich auch machen, einfach nur, damit alle was zu tun haben.
Warum gibt es die Mentalität eigentlich so selten im Rennsport, wo man den restlichen Sportreitern ständig nachsagt, dass die ja die Schuld immer nur beim Pferd suchen?
Vielleicht hat das was damit zu tun, dass Pferde sehr genau beobachtet werden. Und ihre Kapriolen eher als lustig oder eigenwillig abgestuft werden. Bockt also ein Pferd vor dem Start, beim Start und danach auch gleich noch dreimal, landet damit dann auch auf dem vorletzten Platz, dann ist der halt noch “grün”. Nächstes Mal hat er hoffentlich was gelernt. Es wird gar nicht so viel totgefragt. Jedenfalls nicht in Richtung, ob das Pferd schuld ist. Daher werden mit Vorliebe Dienstleister, Reiter und Trainer auf Herz und Nieren geprüft.
Wer ist denn nun schuld? Weiß man halt auch nicht immer. Im Zweifelsfall sind es auch gerne andere Rennteilnehmer.
“Da ist der total blöd rübergeschwenkt, das hätte bestraft werden müssen.” Manchmal richtig, manchmal müssen die ein anderes Rennen geritten sein, als das, was die Zuschauer gesehen haben.
“Der hat ja schon in der Startmaschine gestört.” Und die anderen haben auch so lang zum Einrücken gebraucht. Gehört das eigentlich zur Berufsbeschreibung des Rennreiters dazu? Erklärungen zu finden?
Zuhause im Stall ist man auch nicht sicher. Da kommen ja auch Besitzer hin. Die gucken auch dort akribisch hin und schauen Arbeiten an. Ist das andere Pferd besser, wird der Reiter ausgefragt. “Wieso ist die Trinchen denn jetzt schneller gewesen?”
“Die ist ja auch schon was länger unterm Sattel und hat auch schon ein paar Rennen im Bauch.”
“Und wieso geht die dann mit meiner Püppi arbeiten?”
“Weil die nächste Woche läuft. Die konnte eine Arbeit gebrauchen.”
“Aber die Püppi läuft nächste Woche nicht, ne?”
“Ne.”
“Und warum gehen die dann zusammen eine Arbeit?”
Hrghl …
Auch der Trainer stellt Fragen. An seine Arbeitsreiter. Überhaupt, es ist nicht ratsam auf manche Fragen mit Ehrlichkeit zu antworten. So ist auf die Frage: “Warum bist du ab dem Bogen nicht mehr mitgegangen?” übrigens nicht die richtige Antwort: “Weil der A. seine Peitsche vergessen und mir meine weggenommen hat”. Auch wenn sie stimmt.
Ja, manchmal ist das schwer, so viele Pferdemenschen zu Interaktionen mit Mitmenschen zu zwingen. Kommt durchaus auch mal Käse bei raus.
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