Turfteufel: Dunkelziffer

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Ich habe nun eine Weile gewartet, auch, weil im Endeffekt Worte sehr wenig taugen, um das Entsetzen zu beschreiben, das den Rennsport am Dienstag ergriffen hat, als die Nachricht vom Tode Filip Minariks die Runde machte. Die Depression hat am Ende gesiegt und lässt eine zerbrochene Familie zurück. Es ist nicht das erste Mal, dass in unserem Sport dieses Thema hochkocht und ich glaube, dass die Dunkelziffer an an Depression erkrankten Reitern, Pflegern, Trainern, Dienstleistern, etc. sehr hoch ist – im Reitsport generell. Das liegt in der Natur unseres Sports, an seinem winzigen Kosmos, den man nur voll leben kann – oder man muss untergehen. Denn der Sport ist so klein und er verlangt doch so viel von allen Menschen, die sich darin bewegen. Die Pferde kommen vor allem vor Familie, Krankheit oder persönlichem Schicksal – man lebt nicht dasselbe Leben wie “die da draußen”. 

Das geht im Rennsport schon mit den Arbeitszeiten los. Während andere am Wochenende die Füße hochlegen, ist auf der Rennbahn Hochbetrieb. Und selbst wenn kein Starter da ist, gearbeitet wird trotzdem. Das schließt einen von vielem aus. Vom “normalen” Familienleben, wenn die anderen den Sonntagsausflug planen, es beschränkt alle, die im Rennsport arbeiten, auf einen kleinen Kreis, der genau das versteht und genauso lebt. Man sieht immer dieselben Leute, hört dieselben Geschichten, das Leben dreht sich automatisch um all das, was im Stall oder auf der Rennbahn geschieht. Einen Ausgleich schaffen die wenigsten – auch zeitlich. So kommt es, dass die Rennbahn ein Fixpunkt für die Menschen wird und aus diesem Kosmos bricht man kaum noch aus. Aus diesem Trott kann man nicht einfach immer und jederzeit so ausbrechen, auch, weil da die Pferde sind.

Die Pferde sind das, was uns alle anzieht, was uns fasziniert und ohne die wir auch nicht sein wollen. Es ist also ein Teufelskreis. Und gerade die, die reiten, wissen immer im Hinterkopf auch – die Pferde sind es, die das hier alles beenden können. Durch einen Unfall, einen Sturz oder einfach nur einen ungeschickten Moment. Es ist ein Drahtseilakt, das zu wissen und trotzdem aufs Pferd zu steigen, aber es macht auch was mit einem. Psychisch. Gleichzeitig ist es aber auch keine Option, auf das Reiten zu verzichten, denn Pferde sind das Leben aller Beteiligten. Die kann man ihnen nicht einfach wegnehmen. Sie leben mit ihnen, sie leiden mit ihnen und sie begleiten sie durch dick und dünn, während sie sich selbst zurücknehmen. Das Pferd kommt zuerst. Es formen sich in diesem kleinen Kosmos Freundschaften und Beziehungen, die allerdings auch zerbrechen können. Man kann diesen Dingen dann nicht unbedingt entkommen oder mal eine Zeitlang einfach was anderes machen.

Nichts davon ist allgemeingültig und Depressionen sind natürlich immer einzeln zu betrachten, kein Krankheitsverlauf gleicht sich, doch eine solch komplizierte Konstellation zwischen Leidenschaft und Arbeit, aber auch der Abgeschiedenheit, das begünstigt. Würden alle Betroffenen ihre Erkrankung öffentlich machen, wäre man vermutlich erschrocken darüber, wie hoch die Dunkelziffer ist. Depressionen gibt es überall und man merkt sie den Betroffenen nicht an, weil sie sie maskieren. Auch im Rennsport. 

Wenn ihr oder eine euch nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen seid, wendet euch bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz). Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Deutsche Depressionshilfe ist in der Woche tagsüber unter 0800 / 33 44 533 zu erreichen.

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Nika S. Daveron
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Achtung, dieser Post könnte Meinung enthalten. Meine Meinung. Gestatten, Nika S. Daveron. Autorin und Turfteufel in einer Person. Sie finden mich auf der Rennbahn, in einem meiner Bücher oder auf Arschlochpferd.de.

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