“Das Training ist umgehend einzustellen!”: harte Weisungen, die ich kürzlich bei einem regionalen Pferdesportverband las. Man fürchtete in Zeiten einer Pandemie um die “Außenwirkung” und hielt die Reiter an, vom normalen Trainingsbetrieb auf “Notversorgung” umzustellen. Es fiel gar der Vergleich mit dem geschlossenen Golfclub und man wolle nicht den Neid der anderen Sportler auf sich ziehen.
Heißt, die regionalen Reiter sollen ihre Pferde – wie Golf- oder Tennisschläger – in die Ecke stellen und erst weitertrainieren, wenn sich die Corona-Lage entspannt? Selbst Nicht-Pferdeleuten sollte klar sein, dass man Pferde, ganz besonders auftrainierte Sportpferde, die dieser Tage in die Wettkampfsaison starten wollten, nicht über Nacht abtrainieren kann. Zumindest nicht, ohne kurz- und langfristige, gesundheitliche Folgen zu riskieren.
Ich sprach mit Experten aus Pferdesport und Tiermedizin über eine gesunde Notversorgung von Sportpferden, über Planung für den Notfall und Verletzungs-Prävention für Pechvögel. Dazu gaben mir die Deutsche Reiterliche Vereinigung und Deutscher Galopp, die Dachmarke des Deutschen Galopprennsports, Einblicke in die neue Realität in Deutschen Reit- und Rennställen und wirtschaftliche Folgen der aktuellen Situation für den Pferdesport.
Plötzliche Veränderungen als gesundheitliche Risiken
Kann bzw. sollte man ein auftrainiertes Sportpferd über Nacht auf null runterfahren? “Ich hoffe, dass die Antwort jedem Menschen klar ist: Nein!”, urteil Tierärztin Dr. Caroline Fritz, Spezialistin für Sportpferdefütterung beim Futterhersteller Equistro. “Das gilt sowohl für die Fütterung, als auch für das Training.”
Die naheliegendste Folge ist sicherlich die Rückbildung von Muskulatur: “Wenn Sportpferde plötzlich mehrere Wochen pausieren, kommt es zu massiven Rückbildungen sämtlicher Muskulatur. Besonders schwerwiegend ist das bei der Herzmuskulatur, wodurch es sogar zu Herzinsuffizienz kommen kann”, resümiert PferdeFachtierarzt Dr. Matthias Baumann. Dazu warnt Dr. Caroline Fritz vor zahlreichen akuten Risiken, wenn der empfindliche Stoffwechsel eines Pferdes aus dem Gleichgewicht gebracht wird:
“Wenn die Futterration gleichbleibt, das Training aber komplett von heute auf morgen eingestellt würde, kann ein Überschuss an Energie, Protein und ggf. auch Fett zu einer Entgleisung des Stoffwechsels mit den unterschiedlichsten Folgen führen. Das kann von der Einlagerung von Fett quasi als Langzeitspeicherform bis hin zur Fütterungsrehe reichen. Umgekehrt, wenn die Ration von heute auf morgen einfach komplett eingestellt wird, kann es zu Abmagerung und Mangelsituationen kommen.
Der Organismus benötigt zur Aufrechterhaltung seines Erhaltungsbedarfs ein gewisses Maß an Energie, die er sich bei mangelnder Zufuhr aus der vorhandenen Biomasse (Fettgewebe, Muskelgewebe) zur Not selber synthetisieren muss. Zudem können sich mittelfristige Mangelsituationen an Spurenelementen (wie z. B. Selen) auch langfristig schädlich auf die Leistungsfähigkeit der Muskulatur auswirken.”
In kleinen Schritten zu neuen Zielen: Vom Aufbau zur Erhaltung
“Wichtig ist, dass das Training sukzessive heruntergefahren und entsprechend auch die Ration an die verminderte Arbeit angepasst wird”, so Tierärztin Dr. Caroline Fritz. Prinzipiell sollten Anabolismus (Aufbau von Körpersubstanz) und Katabolismus (Abbau von Körpersubstanz) im Gleichgewicht stehen. Ein Sportpferd ist aktuell besonders vorsichtig zu handhaben, da es hinsichtlich Trainingsplan und Fütterung auf “Aufbau” ausgerichtet war.
In Krisenzeiten empfiehlt Dr. Fritz hingegen, mit dosiertem Training und angepasster Fütterung nur einem Abbau von Körpersubstanz entgegenzuwirken. “In erster Linie sollte es darum gehen, dass das Pferd ausreichend Energie mit dem Futter aufnimmt, um alle energiereichen Stoffwechselprozesse, die lebensnotwendig sind, weiterhin gewährleisten zu können. Zudem muss der Organismus mit allen essentiellen Vitaminen, Spurenelementen und Mengenelementen sowie ausreichend Eiweiß und Fett versorgt werden.” Glücklicherweise haben viele Pferde bereits Zugang zu Gras, das gerade im Frühling sehr reichhaltig an Eiweiß, Vitaminen, Mineralien und Carotinoiden ist, so dass sich das Pferd damit schon gut versorgen kann.
Junge und alte Pferde spielen im Winterpaddock
“Bei Sportpferden mittleren Alters, die sich im Wettkampftraining befinden, kann das Pausieren von Zusatzfutter für den Muskelaufbau – wenn das Training pausiert – ebenfalls in Erwägung gezogen werden. Dies sollte vor allem dann passieren, wenn die Pferde bei gleichbleibender Ration und geringeren Trainingseinheiten eine innere Unruhe entwickeln und Anzeichen von Nervosität zeigen.
“ Bei Jungpferden in der Phase des Muskelaufbaus rät Dr. Fritz hingegen, besonders auf einen Erhalt der aufgebauten Muskulatur zu achten. “Das ist wichtig, damit sie eine gesunde Entwicklung des Bewegungsapparates erfahren. Bewegung trägt als entscheidender Faktor dazu bei.” Je nach Pferdetyp kann bzw. sollte die Futterration um Ergänzungsfutter zum Muskelaufbau ergänzt werden, damit die vorhandene Muskelmasse nicht verloren geht.
Um das Training gesund zu reduzieren, empfiehlt Pferde-Fachtierarzt Dr. Matthias Baumann, die Trainingsdauer beizubehalten, aber die Intensität zu senken. “Wenn Reiter beispielsweise viel getrabt und galoppiert sind, sollten sie stattdessen länger und bewusster Schritt reiten.” Grundsätzlich findet Dr. Fritz (in Abhängigkeit von Alter, Ausbildungs- und Trainingszustand des Pferdes) vor allem gymnastizierende Arbeit wichtig, damit die Muskulatur des Pferdes nicht steif wird. “Zudem sollte man nicht unbedingt jetzt mit neuen Lektionen anfangen, sondern lieber bereits gelerntes auffrischen und verfeinern.”
Tipps für verletzungsaffine Pechvögel und Suizid-Spezialisten
Den Besitzern unfallaffiner Pferde empfiehlt Dr. Fritz, energiereiche Futtermittel zu reduzieren und bei Härtefällen ggf. auch mit Produkten zu arbeiten, die Pferden durch Stress- oder Unruhezeiten helfen. “Wenn gar nichts mehr hilft, muss man die Pechvögel in die sprichwörtliche Watte packen, um sie vor sich selbst zu schützen.”
Diesen Besitzern rät Fritz aber auch, Corona zum Anlass zu nehmen und die aktuelle Haltung zu hinterfragen. “Die eigentliche Frage ist ja: Woher kommen die Verletzungen? Sind da irgendwelche Verletzungsrisiken im Stall oder auf der Koppel, die man beseitigen kann? Stimmt die Haltung generell? Und bei Gruppenhaltung: Gibt es Unruhe in der Herde durch dominante Tiere, gegen die sich ein Pferd immer wieder behaupten muss? Oder verletzt es sich vor Aufregung in der Box, wenn der geliebte Nachbar weg ist?” Für sie ist eine erfolgreiche Pferdehaltung eine Frage der Abwägung zwischen “Welche Haltungsform ist die beste für mein Pferd?” und “Welche Bedingungen kann mir mein Stall bieten, um die tatsächlichen Bedürfnisse meines Pferdes zu erfüllen?”.
In ihren Augen ist bei solchen Patienten akribische Detektivarbeit gefragt: “Im ersten Schritt muss man die Ursache der Verletzungen finden und im zweiten eruieren, ob man dem Pferd psychisch einen Gefallen tut, wenn man die Ursache abstellt bzw. ob man sie überhaupt abstellen kann.”
Sind Trainingsbeschränkungen und Kontaktverbot zulässig?
Gemäß § 2 des Tierschutzgesetzes, muss jeder, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen und darf zudem auch die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Weiterhin muss diese Person über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.
“Das heißt im Klartext, dass mindestens eine sachkundige Person im Stall täglich anwesend sein muss, die neben der Fütterung und Stallreinigung auch für die Bewegung der Pferde zu sorgen hat”, erklärt Tierärztin Dr. Caroline Fritz.
“Aus diesem Grund wäre eine Trainingsbeschränkung im Galopprennsport nicht umsetzbar”, ergänzt Marina Hintze, Leitung der Kommunikation bei “Deutscher Galopp” (Dachmarke des Deutschen Galopprennsports). “Die Rennställe orientieren sich bei der täglichen Arbeit mit den Pferden an den Tierschutzleitlinien, die wir mit fehlender Bewegung missachten würden.”
Anders in einigen Reitsport-Pensionsbetrieben in Infektions-Hochgebieten oder solchen Ställen, wo das Ordnungsamt Verstöße gegen die Kontaktbeschränkung feststellte: In mehr als nur einem deutschen Reitbetrieb dürfen Pferdebesitzer dieser Tage nicht mehr zu ihren Tieren. Dies ist laut FN nur zulässig, wenn Stallbetreiber bzw. Stallpersonal die notwendige Bewegung des Pferdes sicherstellen kann.
Für den Fall der Fälle empfiehlt Dr. Fritz Pferdebesitzern, sicherheitshalber einen Notfall-Futter- und -Bewegungsplan (im Rahmen der Möglichkeiten, die die Anlage bietet) zu erstellen. Zu Verspannung neigenden Pferden kann man an der Fütterungsfront mit antioxidativ wirkenden Substanzen unterstützen (z.B. Vitamin C + E, Selen, Leucin), um die Muskulatur vor Versteifungen zu schützen. Zudem warnt sie bei einem Trainings-Stop vor der Gabe von Saftfutter und Leckerlis: Sie sollten dem betroffenen Pferd maximal noch in homöopathischen Dosen angeboten werden.
“Der Notfall-Plan sollte neben dem täglichen, natürlichen Auslauf gemäß der Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten auch möglichst eine Trainingseinheit (abhängig vom Trainingszustandes des Pferdes) enthalten. Diese können je nach vorhandenen Vorrichtungen im Stall aus einem Abwechslungsprogramm zwischen Führanlage, Beritt, Bodenarbeit im Round Pen, longieren, als Handpferd mit einem anderen Reiter ins Gelände, einen Freispringparcours oder auch einfach mal nur toben mit dem besten Freund/der besten Freundin auf dem Paddock gestaltet werden.” (Tierärztin Dr. Caroline Fritz, Expertin für Fütterung von Sportpferden bei Equistro)
Business as usual? Der neue Alltag im Pferdesport
Kontaktverbote sind in Deutschland glücklicherweise noch die Ausnahme: Die meisten Reitställe haben auf einen straff organisierten und Desinfektionsmittel-lastigen Ablauf umgestellt, um keine Totalsperre zu provozieren. Tierärztin Dr. Fritz lobt das proaktive Engagement: Beschilderung des Waschbeckens und frei zugängliche DesinfektionsmittelSpender, Erklärtafeln zum korrekten Händewaschen und eine professionellere, oftmals digitale Organisation des Stallalltags, um die Zahl der zeitgleich anwesenden Personen zu minimieren.
Digitale Hilfsmittel zur Optimierung des Stallalltags – bzw. zur Minimierung der anwesenden Personen – sind in den meisten Betrieben inzwischen Standard. “So kann man diese schwierigen Zeiten gut gemeinsam meistern, ohne auf die Bewegung des Pferdes zu verzichten. Es muss nur jeder in seinem individuellen Verhalten ein bisschen Zurückstecken und mehr Rücksicht auf die Gemeinschaft nehmen.”
Der Galopprennsport ist dahingehend ein Sonderfall, dass ausschließlich professionelles Personal zur Pflege und Bewegung der vierbeinigen Hochleistungssportler vor Ort sind. Die sam- oder sonntäglichen Besuche der Besitzer, die ihren Lieblingen Karotten bringen und mit ihrem Trainer fachsimpeln, wurden eingestellt. “Die unverzichtbare tägliche Bewegung der Pferde wird weiterhin durch ihre Trainer und deren (Arbeits-)Reiter übernommen.
Diese Vorgänge müssen weiterhin in genau dieser Form gewährleistet sein – selbstverständlich unter strenger Einhaltung aller behördlicher Vorgaben”, so Marina Hintze, Leitung der Kommunikation bei Deutscher Galopp. “Hierbei ist es sicherlich zuträglich, dass sich das Personal in der täglichen Arbeit viel draußen befindet. Der alleinige Umgang mit den einzelnen Pferden und die Vermeidung des Aufenthalts in Gemeinschaftsräumen gehört ebenso zu den Vorkehrungen, wie gesteigerte Hygienemaßnahmen.”
Wirtschaftliche Folgen von Kontakt- und Veranstaltungsverbots
“Der wirtschaftliche Gesamtschaden für Pferdesport und -zucht ist derzeit nicht zu beziffern”, meldet Julia Basic, Pressesprecherin der Deutscher Reiterlichen Vereinigung. Mehr als 10.000 Firmen, Handwerksbetriebe und Dienstleistungsunternehmen in Deutschland haben direkt oder indirekt das Pferd als Haupt-Geschäftsgegenstand. Der Umsatz der deutschen Pferdewirtschaft liege bei geschätzten 6,7 Milliarden Euro. Darunter fallen 39 Prozent (2,6 Mrd. Euro) der Ausgaben auf den Bereich Pferdehaltung, 61 Prozent (4,1 Mrd. Euro) auf den Bereich Einzelhandel und Dienstleistungen. Auf den Reitpferdeauktionen der Zuchtverbände im Jahr 2018 wurden 783 Reitpferde zu einem Durchschnittspreis von 25.090 Euro versteigert.
Der Gesamtumsatz dieser Auktionen betrug 19.645.701 Euro. Weiterhin wurden bei den Auktionen der Zuchtverbände rund 1.700 Zuchtpferde und Fohlen sowie Ponys und Kaltblüter versteigert. Damit wechselten über die Verbandsauktionen insgesamt 2.629 Pferde und Ponys ihren Besitzer. Durch die Corona-Krise fallen nach Kenntnis der FN sämtliche Zuchtveranstaltungen aus. Auktionen können aber zum Beispiel online durchgeführt werden.
“Dass uns die zentralen Bühnen unseres Sports, die Renntage, aktuell genommen sind, führt zu substanziellen Einnahmeverlusten für alle”, vermeldet Marina Hinze. “Deswegen müssen und wollen wir schnellstmöglich wieder Rennen veranstalten, sobald dies die Vorgaben der Behörden, die wir respektieren und mittragen, wieder erlauben.” Vorerst nimmt die Dachmarke des Deutschen Galopprennsports massive finanzielle Einschnitte vor, um sich für die Zukunft zu ertüchtigen. “Diese beinhalten neben einem generellen Ausgabenstopp auch bereits in Kraft getretene Kurzarbeit.” Laut Deutscher Galopp sind aktuell 2.247 Rennpferde im Training und über 3.000 Arbeitsplätze hängen konkret am Erfolg oder auch Misserfolg des Rennsports.