Unter dem tosenden Applaus der Menge biegt der Pulk der galoppierenden Pferde in die Zielgerade ein. Dicht an dicht geht es auf die letzten 150 Meter, die Menge ruft, johlt und feuert die Pferde und ihre Jockeys an. Der vierjährige Alounak rast Kopf an Kopf mit seinem Kontrahenten dahin. Es geht nur noch zwischen den beiden Konkurrenten um den Sieg. Er nimmt noch einmal all seine Kräfte zusammen, spannt sich noch bisschen mehr und schnellt wie eine Sprungfeder nach vorne. Am Zielpfosten streckt er den Kopf in Front, dann ist das Rennen vorbei.
Es war sein Rennen, er weiß es, sein Reiter weiß es. Einzig die Zuschauer warten auf die Auswertung des Zielfotos. Auf den großen Tribünen und an den Rails ist jeder Ton verstummt. Zwischen den Berggipfeln am Kapellenberg herrscht in dem kleinen Tal nur noch gespannte Stille, eine Stille, wie sie immer nur dann eintritt, wenn ein schwerer Sturm vorübergezogen ist.
Das Publikum starrt gebannt auf die Leinwand unter dem Iffezheimer Emblem. Keiner sagt ein Wort, denn niemand weiß, wer der Sieger des Hauptrennens ist. Plötzlich geht ein Raunen durch die Menge, als der Zieleinlauf endlich feststeht und niemand mehr auf die Folter gespannt wird.
Gewonnen hat Alounak mit Lukas Delozier im Sattel. Mit einer unglaublichen Quote von 149:10 hat er als einer der größten Außenseiter das Rennen für sich entschieden. Voller Stolz galoppiert er zurück, jetzt wissen endlich alle, was er schon die ganze Zeit wusste. Mit den Augen sucht er die Menge nach den sanften Händen seines Pflegers ab. Vorsichtig lenkt ihn der Jockey auf den Ausgang der Bahn zwischen den Rails zu und klopft liebevoll seinen Hals, als auch schon der Besitzer, Trainer, sämtliche Fotografen und Journalisten auf den braunen Hengst zustürmen.
Tradition und Rennbahnfrühstück
1858 auf einem alten Rheinarm entstanden, ist die Rennbahn in Iffezheim traditionsreich wie keine andere. Hier wird der Rennsport noch gelebt, geliebt und zelebriert. Zur Großen Woche reisen Besucher aus allen Teilen Europas an. Die Vollblutauktion, die am zweiten Wochenende stattfindet, lockt Kaufinteressierte, Agenten und manchmal sogar einen saudischen Ölscheich in das kleine Dorf im Landkreis Rastatt. Iffezheim selbst hat nur knapp 5000 Einwohner, zur Rennwoche allerdings ändert sich das schlagartig. Der Ort gleicht plötzlich einem Ameisenhaufen, aber die Einwohner lieben ihre Rennbahn, fast alle sind fest verwurzelt mit der Geschichte des Areals und den schnellen Englischen Vollblütern.
Durch die 160-jährige Tradition der Galopprennen liegt eine ganz besondere Atmosphäre über der Rennbahn, mit den großen Tribünen, dem Boxendorf und dem Auktionsgelände. Fast nirgendwo sonst auf der Welt ist man so nah am Puls des Rennsports und es wird für jeden etwas geboten, ob Vollblutexperte oder Fashionista.
Beim traditionellen Rennbahnfrühstück blickt man über die Trainingsbahn, sieht den Pferden bei der Morgenarbeit zu, wie sie mit klappernden Hufen den Weg am Bach entlang zur Bahn gehen und über die mit Raureif bezogene Grasbahn zur Sandbahn schreiten. Noch hängen vielleicht die letzten Nebelfetzen an den Hängen der Hügel, aber wer möchte, kann schon mit einem Glas Champagner anstoßen oder mit einem Fernglas bewaffnet den nächsten Sieger ausspionieren.
Die besten Speisen und Getränke für jeden Geschmack und der Sterneküche gibt es aber nicht nur hier, sondern auch in den vielfältigen Restaurants und zahlreichen Ständen auf dem Gelände. Vom Oleander Turm aus bekommt man beispielsweise den besten Blick auf die Zielgerade geboten. Wer ganz nah am Geschehen sein möchte, kann mit einem Platz auf der Clubplatz Terrasse fast die vorüber galoppierenden Pferde berühren. So, als müsste man nur die Hand ausstrecken.
Die Terrasse befindet sich direkt am Geläuf in der 2004 erbauten Bénazet Tribüne, die nach Edouard Bénazet benannt wurde, auf dessen Initiative die Rennbahn erbaut wurde. Die Rennbahn war vorgesehen, um Touristen nach Baden-Baden zu locken und die Kassen des dort ansässigen Casinos zu füllen. Edouard Bénazet schuf mit seiner Initiative eine Zuflucht, eine Oase für den Alltag und einen Platz, um Träume wahr werden zu lassen – auch heute noch.
Applaus für den Großen Sieger
Plötzlich ist es als, hätte jemand den Ton wieder angestellt. Das Klicken der Kameras, der Beifall der Zuschauer, Besitzer und Trainer, die das Pferd überschwänglich loben, all das prasselt auf Alounak und seinen jungen Reiter ein. Beide sind voll und ganz in ihrer Welt gefangen, noch benommen von dem, was sie eben geleistet haben, Alounak hört immer noch sein Herz klopfen und er meint auch den erregten Puls seines Reiters zu spüren. Unter Tränen hakt der Pfleger den langen Lederführzügel an der Trense des Hengstes ein, dreht abermals Runde um Runde auf dem grünen Rasen. Die Fotografen rufen ihm Anweisungen zu, die er mit stolzgeschwellter Brust befolgt. Der Besitzer spekuliert schon, welche internationalen Erfolge das junge Vollblut in der Lage ist, zu erringen: Ascot, Chantilly, nichts scheint unmöglich in diesem Augenblick.
Ein Angestellter des Rennvereins wirft die Siegerdecke auf den Rücken des Pferdes, während die ersten Journalisten versuchen, ein Interview mit dem Siegjockey zu führen. Alounak schreitet stolz an der Seite seines Pflegers Richtung Siegerring. Sein gesamtes Team begleitet ihn durch die applaudierenden Menschenmassen, sie bilden eine Gasse, als würden sie für ihn Spalier stehen.
Der Pfleger klopft unaufhörlich seinen Hals, streicht immer wieder sanft über die große weiße Blesse. Die Hufe des Hengstes klappern auf dem Pflaster, links und rechts gerahmt vom Publikum unter dem blauen Himmel von Baden-Baden. Auf den roten Dächern der alten Gebäude wehen die Flaggen sanft in der sommerlichen Brise. Der packende Endkampf hat alle Menschen in seinen Bann gezogen: Kinder wie Erwachsene, Rennsportexperten und Rennbahnneulinge, den Sportreporter und den alten Mann mit dem Programmheft und dem Bleistift. Nicht nur die Dame mit dem extravaganten Hut, der in der Sonne glitzert, sodass er auch in Ascot auf der royalen Rennbahn auffallen würde, sondern auch das Mädchen auf den Rails, das davon träumt, als erste Frau den großen Preis von Baden zu gewinnen.
Sie alle sind fasziniert, infiziert von Rennfieber, von der starken und eleganten Gestalt des jungen Hengstes und von der besonderen Atmosphäre, die es nur auf der Rennbahn im kleinen Dorf Iffezheim gibt. So viele Träume gingen an diesem Tag in Erfüllung. Schon lange hat es nicht mehr ein so spannendes und knappes Finish im Hauptrennen des Eröffnungstages gegeben.
Es ist Große Woche in Baden-Baden.
Die Fashionshow der Hutkreationen
In diesem Jahr wird zur Großen Woche, neben dem ersten Wochenende, an dem Samstag und Sonntag Rennen stattfanden, noch Mittwoch, Donnerstag, Samstag und Sonntag um den Sieg gekämpft. Das Highlight einer jeden Rennwoche ist der am letzten Renntag stattfindende Große Preis von Baden, aber der Rennplatz von Iffezheim hat neben seiner einzigartigen Gastronomie noch viel mehr zu bieten.
Er ist nämlich auch ein Ort, an dem jedes Mädchen und jede Frau einmal eine Prinzessin sein kann. Erlaubt ist alles, was gefällt. Es gibt keinen Dresscode auf der Rennbahn. Von extravagant bis legere kann alles getragen werden. Wer möchte, erscheint am Samstag – dem sogenannten Ladies Day – mit einer einfallsreichen Hutkreation und erhält dafür sogar noch freien Eintritt. Von Federn und Perlen bis hin zu Blumen ist alles möglich, je ausgefallener, desto besser. Hier heißt es: Sehen und gesehen werden.
Modeliebhaber werden voll und ganz auf ihre Kosten kommen. Vielleicht entdecken sie sogar den ein oder anderen Prominenten in der neuesten Designerkollektion. Es bietet sich aber auch die Möglichkeit, selbst einmal mutig oder kreativ zu sein. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt. Für Kurzentschlossene gibt es selbstverständlich auch noch die Möglichkeit, einen Hut auf dem Gelände zu erwerben, denn am Ladies Day lädt eine Shopping Meile zum Stöbern ein.
Außerdem sucht der Sponsor Longines in diesem Jahr die am elegantesten gekleidete Dame, um sie mit dem „Prize for elegance“ auszuzeichnen. Am letzten Renntag, dem Tag des Großen Preises, sind Kamerateams auf der Rennbahn unterwegs und laden die Damen mit den mondänsten Outfits zum Finale auf die große Bühne ein. Neben packenden Endkämpfen und rassigen Vollblütern gibt es also auch noch ein Festival der Mode und Hutkreationen.
Champagnerdusche im Kreis der Sieger
Der vierjährige Alounak wird im Siegerring von seinen Betreuern mit einer wohlverdienten Dusche abgekühlt und taucht seine Nase in den Wassereimer, der dort für ihn bereit steht. Mit langsamen Zügen trinkt er, seine Ohren spielen und er lauscht. Noch immer knipsen die Fotografen weiter und es surren die Fernsehkameras um ihn herum. Er wird im Kreis herumgeführt, um sich abzukühlen.
Jenseits der Hecke entdeckt er einen kleinen Jungen, der ihm besonders auffällt. Der Junge starrt ihn an, er steht an der Hand seiner Mutter, mit der anderen versucht er über die Hecke das Pferd zu streicheln. Und wenn Alounak auch die ehrfürchtig geflüsterten Worte nicht versteht, weiß er doch, dass er gewonnen hat und der Applaus der Menge ihm und seinem Freund auf seinem Rücken galt. Der Jockey ist von seinem Rücken gesprungen, als sie den Siegerring erreicht hatten, er klopfte Alounak noch einmal liebevoll den Hals. Danke hieß das in Pferdesprache und der Hengst hat auch das verstanden.
Seine Kollegen begrüßen den jungen Reiter überschwänglich mit einer Champagnerdusche, dass die Korken nur so knallen und er bis auf die Unterwäsche nass wird. Doch das macht ihm nichts aus, stolz lächelt er und tut, als würde er versuchen, auszuweichen. Aber eigentlich genießt er jede Sekunde auf dem Höhepunkt des Ruhmes. Bei der Siegerehrung wird die deutsche Nationalhymne gespielt, Besitzer, Trainer und Reiter nehmen die Ehrenpreise in Empfang. „Wir gratulieren dem siegreichen Team um Alounak!“, steht dort auf der Leinwand.
Mit dem Wettschein in der Hand zum Sieg
Man muss außerdem kein Rennsportexperte sein, um bei dem ein oder anderen Rennen eine kleine Wette zu tätigen. An den Wettkassen und den Infoständen erhalten die Besucher Hinweise zum Ausfüllen der Wettscheine. Mit einer einfachen Sieg- oder Platzwette ist man gleich mittendrin im Renngeschehen. In den Jackpot-Auszahlungen der Viererwette ist es sogar nicht unmöglich, auch gleich eine größere Summe abzusahnen. Es gibt außer diesen aber noch viele weitere Wettangebote, die es zu entdecken gilt.
Am besten schaut man sich die Pferde einmal vor dem Rennen im Führring an, auch Wetten auf den schönsten Namen oder den hübschesten Jockey sind erlaubt. Hier erhält man auch noch zusätzliche Informationen zu den Pferden, den letzten Formen und einige Wetttipps. Wer sich einen Favoriten ausgesucht hat und den Wettschein in der Hand hält, den wird das Rennfieber so schnell nicht wieder loslassen. Wenn das eigene Pferd in den Schlussbogen einbiegt, spürt man den Nervenkitzel und den Geschwindigkeitsrausch fast auch ein bisschen auf der anderen Seite des Zauns.
Große Emotionen zur Großen Woche
Dass das Publikum ihm zu Ehren immer noch klatscht und johlt, hört Alounak nur noch aus der Ferne. Sein Pfleger führt ihn am Bach entlang zurück ins Boxendorf. Eine lange Schrittphase nach dem Rennen ist wichtig, um vernünftig abzukühlen. Es geht an der Kantine vorbei, in der schon die ersten Rennsportfans versammelt sind und ihr Abendessen genießen.
Traditionell wird hier Weinschorle getrunken. Es riecht nach Bier, Bratensauce, Lederfett und Pferden. Der Hengst schnaubt und sein Pfleger klopft ihm wieder liebevoll den Hals. Aus der Kantine hallt es die ersten Glückwünsche zu dem großen Sieg. Der Pfleger lächelt, so unsagbar stolz ist er auf seinen Schützling. Im Boxendorf in einer langen Reihe Stallungen angekommen, nimmt er ihm die Trense ab, wäscht noch einmal liebevoll das Fell des Pferdes, das das Wasser auf seiner Haut genießt. Es war ein langer Tag.
Später kaut Alounak sein Heu, zufrieden in seiner Box. Er spürt seine Muskeln und die Leistung und Anstrengung des Tages, aber er fühlt auch, dass die Menschen um ihn herum glücklich sind. Noch einmal kommt sein gesamtes Team zu ihm an die Box. Besitzer und Züchter planen ein rauschendes Siegesfest, denn es ist ein großer Erfolg für das Gestüt, das von der Zucht, dem Verkauf und den Rennpreisen Englischer Vollblüter lebt.
Die Abendsonne taucht Iffezheim und die fernen Berggipfel in ein warmes Licht. Auf der Rennbahn ist Ruhe eingekehrt, auch die letzten Besucher sind auf dem Weg nach Hause. Alle Rennen sind gelaufen, alle Entscheidungen sind gefallen. Jedenfalls für heute, schließlich ist morgen wieder Renntag. Alounak fährt dann nach Hause, so sagt ihm jedenfalls sein Trainer, der noch einmal in seine Box geschlichen kommt, um ihm zu danken. Er fällt ihm um den Hals.
Das ist Pferderennen.
Das ist Leidenschaft.
Das ist Baden-Baden.