“Ehrlich?” “Du willst so schnell ein neues Pferd kaufen?” Als ich mich im Sommer auf die Suche nach einem Buschpferd machte, gab es manch einen schrägen Seitenblick. Dabei ist die schlichte Wahrheit: Wer in Deutschland gezielt nach einem Ex-Galopper sucht, sollte etwas Zeit haben. Oder sehr viel Glück.
Denn es mangelt an einer zentralen Plattform, um Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Stattdessen erwartet den interessierten Blut-Liebhaber eine mühselige Recherchearbeit. Und eine kunterbunte Mischung an mal mehr und mal weniger gelungener Verkaufsanzeigen, bei denen die Preisvorstellungen der Besitzer oder Trainer von “Klassepferd zu verschenken” bis “Wer vergoldet mir meinen Schleudersitz?” reicht.
Was genau macht ein gutes Reitpferd aus? Ein Blick auf die Wunschliste
Erfreulich viele Rennställe machen sich die Mühe, ausführliche und sympathische Verkaufsanzeigen zu schreiben. Alle interessanten Infos zu einem Pferd habe ich jedoch in keinem einzigen Fall auf Anhieb gefunden.
- Ist er/sie gesund?
Der erste und wichtigste Punkt, auf den ich mir in einer Anzeige umfangreiche Antworten haben möchte. Der beim Verkauf von Reitpferden übliche “TÜV” ist im Rennsport leider noch nicht angekommen (dabei wäre ein guter TÜV-Befund ein wichtiges Verkaufsargument). Stattdessen muss man sich oftmals auf das Wort des Verkäufers, das eigene Auge und die Einschätzung eines reaktionsschnellen Tierarztes verlassen. Denn die wirklich interessanten Pferde werden in der Regel sehr schnell vermittelt. Da bleibt wenig Zeit, noch eine umfangreiche Ankaufsuntersuchung zu organisieren.
Hier eine Interessante Beobachtung: Mein kleiner Fuchs wurde in der Facebook-Anzeige mit dem Vermerk “Ich verlasse den Rennsport nicht aufgrund einer Verletzung” angeboten. Und doch sandten mir gleich drei Kontakte seine Anzeige mit dem Vermerk “Musst halt schauen, was er für eine Verletzung hat”. Ein Fall von selektivem Hören? Bzw. selektivem Lesen? So oder so, sollte man wohl explizit “gesund und unverletzt” schreiben.
- Ist er/sie brav?
Ebenfalls eine wichtige Frage, die ehrlich beantwortet werden sollte: Den die Bandbreite reicht bei Rennpferden von Schaukelstuhl bis Schleudersitz! Ich weiß, dass dieser Tage viele Wendy-Leser, Ostwind- und Pferdeprofi-Fans anderer Ansicht sind, doch ich persönlich werde sehr hellhörig, wenn Rennsportler “anspruchsvoll”, “viel Go” oder “nichts für Anfänger” schreiben. Wer einmal einen Arbeitsreiter oder Jockey bei der Arbeit gesehen hat, mag dies verstehen …
“Beliebt”, “wir von Amateuren geritten” oder auch wenn das betreffende Pferd mit auf Ausritte darf, sind das für mich hingegen Anzeichen, dass es sich um einen netten und gut händelbaren Vertreter seiner Art handelt.
Bei Duke’s Verkaufsanzeige auf der Facebookseite vom Rennstall Recke gefiel mir die Formulierung: “Im Stall bin ich sehr beliebt, da ich immer freundlich und zuvorkommend bin. Ein echter Gentleman eben.”
- Die beste Kombination: Groß und Jung
Da die wenigsten Ottonormalreiter in Deutschland auf die Körpermaße eines Rennreiters kommen, ist die Größe natürlich ein wichtiger Punkt. Dass die meisten Rennställe hier nur Pi x Daumen schätzen finde ich generell sehr schade; spielte mir im Falle meines Blüters aber tatsächlich in die Hände. Denn mit den inserierten 165 Zentimetern fiel der Fuchs durch das Suchraster einiger befreundeter Buschreiter, die zur selben Zeit wie ich nach Vollblütern suchten. Dass er beim späteren Besuch der Pferdewaage auf 170 Zentimeter kam, hat mich natürlich gefreut.
Das Alter ist vor allem für Reiter mit Turnierambitionen interessant. Buschpferde dürfen vier- bis sechsjährig in den Einsteigerklassen für Jungpferde (Geländepferdeprüfung) starten. Zieht man ein mindestens ein halbes Jahr für die Umschulung #VomRennpferdzumBuschpferd ab, waren für mich vor allem vier- und maximal noch fünfjährige Pferde interessant.
- Die goldene Frage: Was kann er/sie?
Eignet sich der Blüter für den ReitSPORT? Spätestens bei dieser Frage muss fast jede Verkaufsanzeige für Ex-Galopper passen: Nicht etwa, weil es nicht umsetzbar ist, sondern weil vielfach Zeit und auch Verständnis für die Suchenden fehlt. In der Dressur braucht man ein Pferd mit aufwändigen Bewegungen und einer positiven Grundspannung. Ein freies Trabvideo in der Reithalle oder auch auf der Koppel hätte mich interessiert; die allzu üblichen Fotos eines Rennpferdes mit Schlabberzügeln auf dem Trabring fand ich dagegen eher abschreckend.
Die Aussage “Ein guter Springer” mag im Reit- wie auch im Rennsport dieselben Buchstaben haben; aber damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Entsprechend habe ich manches Mal schmunzeln müssen, was mich so alles auf meine Suchanzeige nach einem springwütigen Blüter erreichte. So gut die Bemühungen gemeint waren; doch Videos von einem Rennpferd, das über einen Ast (kein Schwerz!) longiert wird, waren für mich wenig aussagekräftig. Wenn Freispringvideos (HIER ein tolles Video des Rennstalls Karoly Kerekes) nicht möglich waren, konnte ich in möglichst langsam gecanterten Reitvideos noch das meiste sehen.
Es ist sehr schade, dass so viele Verkaufsanzeigen gerade an dieser Frage nach der Begabung schwächeln. Denn hier entscheidet sich, ob ein Blüter den Weg zum Schmus- und Gassireit-Pferd einschlägt oder sportlich gefördert wird. Und hier entscheidet sich auch, ob ein Blüter in der Preisklasse eines mittelprächtigen Ausreitponys oder in der eines talentierten Nachwuchs-Sportpferdes liegen darf.
And the Winner is …
“Hallo, mein Name ist Basillus
und ich suche eine neue Aufgabe im Freizeitsport. Zuerst ein paar Fakten: Ich
bin ca. 1,65m groß, Wallach, 4 Jahre alt und habe sogar ein Rennen gewonnen,
aber zu meinen Stärken zählte schnell laufen noch nie… Ich verlasse den
Rennsport nicht aufgrund einer Verletzung. Besonders viel Spaß macht mir das
Ausreiten, aber auch in der Halle klappt alles gut. Über kleine Baumstämme bin
ich auch schon gehüpft. Vor 3 Monaten habe ich einen anderen Ex-Galopper
besucht und wir sind (in einer fremden Umgebung) ausgeritten. Das macht mir
überhaupt nichts aus! Im Stall bin ich sehr beliebt, da ich immer freundlich
und zuvorkommend bin. Ein echter Gentleman eben. Meine Lieblingsbeschäftigungen
sind schlafen und essen, vor allem auf der Wiese. Ich bin sehr verträglich mit
anderen Pferden. Mir macht es nichts aus ob Stute, Wallach oder zweijähriger
Hengst. Natürlich bin ich schmiede und verladefromm. Alles in allem bin ich
sehr unkompliziert. Ich stehe noch im Rennstall in Weilerswist (53919) bin aber
nicht mehr im aktiven Rennpferde Training. Gerne kann man mich besichtigen und
probereiten und kennenlernen.”
(Post
auf der Facebook-Seite von Rennstall Recke)
Zu Besuch in Weilerswist: Der erste Eindruck
Eine schön geschriebene Anzeige, passende Rahmendaten und ein Blick in die Ahnentafel haben mich sehr schnell motiviert, die fast 600 Kilometer weite Reise von München nach Weilerswist anzutreten. Ein Pferd aus der Region wäre natürlich praktischer gewesen (viele Reitpferde-Interessenten suchen nur im näheren Umkreis), doch suchte ich ein Pferd für die nächsten 25 Jahre. Dafür war ich durchaus gewillt, ein paar Kilometer mehr zu fahren. Und so tauchte ich samstags morgens – mit seelischer Unterstützung meiner Mutter (die in der Gegend lebt) – im Rennstall Recke auf, um den vierjährigen Kendargent-Sohn Basillus kennenzulernen.
Obwohl das Training bereits in vollem Gang war, lag über der ganzen Anlage eine angenehme Ruhe. Aus den Boxenfenster schauten uns neugierige Blüter entgegen. Auf den Koppeln standen Pferde, die ihr Tagespensum bereits erfüllt hatten. Ein Lot marschierte gerade Richtung Trainingsbahn. Menschen und Tiere schienen ihren Job zu kennen und zu mögen. Von Stress und Hektik keine Spur. Auf die Minute pünktlich kam “mein” schlaksiger Riesenfuchs von der Führmaschine zurück. Der Trainer höchstpersönlich legte einen Vielseitigkeitssattel (sehr sympathisch: von den Halbbaumsätteln auf Jungpferden hatte ich nicht nur gutes gehört) mitsamt Gelkissen (höchst sympathisch: die rückenschonenden Pads kommen im Rennsport leider eher selten zum Einsatz) auf und drückte mir den eckigen Wallach in die Hand.
Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits ein paar Blüter probegeritten und hatte mit Trabring und vielleicht noch einer Runde auf der Trainingsbahn gerechnet. Doch stattdessen ging es hinter einem ortskundigen Führpferd ins Gelände. Über Stock und Stein wurde mir der Fuchs von Minute zu Minute sympathischer. Trotz seiner Größe war es extrem fein zu reiten. Und trotz der Trainingspause weder triebig, noch frisch oder gar wild. An jedem Ast hob er aufmerksam die Füße und als wir beim cantern eine größere Pfütze ansteuerten, sprang er mit einer lässigen Selbstverständlichkeit los. Und seine überraschte Reiterin fast aus dem Sattel …
Bei der abschließenden Runde im Dressurviereck konnte Basillus beweisen, was der Ausritt bereits versprochen hatte: extrem aufwändige Bewegungen. Seinen Trainer hat diese Knieaktion vermutlich mach ein Haar gekostet, doch für den späteren Einsatz in der Dressur ideal. Ein paar Hüpfer über naheliegende Baumstämme verliefen noch recht unkoordiniert. Doch das fand ich für ein vierjähriges REITpferd völlig legitim. Trotz der sehr kleinen Sprünge zog Basillus die Knie teilweise bis ans Kinn. Eine gute Grundlage, auf die man mit Zeit, Geduld und viel Gymnastik aufbauen kann.
Pferde kaufen: Wenn Herz, Hirn und Bauch mitreden
Nach Basillus durfte ich noch einige andere Kandidaten probereiten, die ich sofort oder vermutlich im Laufe des Jahres haben könnte (ob und wann ein Rennpferd pensioniert wird: Das kann sich sehr schnell ändern). Doch jedes Pferd bestätigte nur das Bauchgefühl der ersten Runde: Der Fuchs; der ist toll. Da meine Mutter einen wesentlichen Teil der Proberitte mit dem Handy gefilmt hatte, konnte ich die Pferde anschließend auch noch sportlich vergleichen. Und bei der Aktion im Trab sowie auch am Sprung zeigte sich: Der Fuchs ist richtig toll.
Wer in Deutschland ein Reitpferd kauft, kommt mehrmals zum Probereiten, lässt vom Tierarzt einen TÜV machen (sofern noch keiner vorliegt) und handelt ggf. noch eine mehrwöchige Probezeit aus, um das Pferd besser kennenzulernen. Wenn man ein Pferd direkt aus dem Rennstall kauft, dreht man eine Proberunde, schlägt ein und nimmt das Pferd am besten gleich mit. Das ist sicherlich nicht immer optimal. Aber bei vierstelligen Unterhaltskosten pro Monat effizient.
Da ich ohne Hänger gekommen war (grober Anfängerfehler!!!), musste ich noch eine ganze Woche auf mein Pferdchen warten. Als er dann – nach zahllosen Staus mitten in der Nacht – Münchner Boden betrat, war dafür alles vorbereitet: Die Paddockbox mit Heubergen. Ein Sattelschrank voll mit Ausrüstung, die ihm ganz alleine gehört. Eine große Kiste mit seinem neuen Buschpferde-Futter. Und eine Besitzerin, die vor lauter Aufregung und Vorfreude tagelang nicht schlafen konnte. Tag eins in seinem neuen Leben als Reitpferd. Als Buschpferd. Als “Duke”.
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Meine persönliche Suche nach einem Ex-Galopper lief in den folgenden Schritten:
- Die Galoppermärkte auf Facebook
Pferde-Verkaufsgruppen sind auf Facebook seit Jahren üblich. Warum es für Vollblüter einen Galoppermarkt und einen Galopper-Markt gibt, weiß der Himmel; doch in beiden Gruppen herrscht reger Betrieb. Besonders interessant: Hier kommt man mit einigen sehr engagierten Vollblut-Vermittlerinnen ins Gespräch, die für kleine oder auch große Rennställe arbeiten.
- Der Reitpferde-Markt: Ehorses
Überraschend wenig Rennställe haben sich auf “Europas führenden Pferdemarkt” Ehorses verirrt. Ob sich auf der Reitpferdebörse zu wenig Interessenten herumtreiben? Oder die falschen? Manch ein nettes Vollblut findet man auf dieser Seite, doch die Auswahl ist eher mager.
- Ebay Kleinanzeigen
Kein Scherz: Auf Ebay Kleinanzeigen findet man wirklich alles. Auch interessante Anzeigen von Rennställen. Tendenziell sind hier aber eher die älteren Ex-Galopper zu finden, die wegen Nachwuchs, Zeitmangel oder Jobwechsel ihren dritten oder vierten Lebensplatz suchen. Sicherlich eine gute Adresse für Freizeitreiter, die einen verlässlichen Ausreitpartner suchen.
- Die Facebookseiten der Rennställe
Sich durch die Facebook Timeslines der Rennställe zu klicken war mühselige Kleinstarbeit; doch höchst ergiebig. Hier fand ich zahlreiche interessante Blüter, die weder in den Galopper-, noch im Reitpferdemarkt Ehorses anzutreffen waren.
- Direkter Kontakt
Ehrlicherweise hatte ich noch einige größere Rennställe ohne Facebookseite per EMail angeschrieben: Hab mich kurz vorgestellt und erklärt, dass ich im Laufe des Jahres an einem Rentner interessiert wäre. Von einem Stall kam eine kurze Wir-haben-nichts-passendens-Email; die anderen haben sich leider gar nicht zurückgemeldet.