Morgens halb 9 im Rennstall: Und alle Boxen sind leer. Nach gut 10 Jahren im Rennsport komme ich doch noch ins Staunen.
Auf der Suche nach einem Nachwuchspferd für die Vielseitigkeit bin ich zu Gast beim Rennstall Frank Fuhrmann in Möser. Amateur-Rennreiterin Janina Boysen hatte mehrere interessante Kandidaten zum Verkauf inseriert. Alle machten auf Bildern und Videos einen guten Eindruck: Ordentlich genährt, gut bemuskelt und reell geritten. Ehrlicherweise hatte mich die Rennstatistik der Pferde anfangs abgeschreckt: Alle Kandidaten hatten verhältnismäßig viele Rennen auf dem Tacho. Vor Ort ließ sich diese Frage schnell beantworten; scheinbar wird in diesem Stall zuhause etwas entspannter gearbeitet und dafür starten die Pferde öfter *.
Alle Rennpferde standen gemeinsam auf einem großen Sandpaddock und genossen die Sonne. Zwei Arbeitsreiterinnen holten nur die Pferde rein, die sie reiten wollten, wärmten sie gründlich auf und canterten auf der weitläufigen Trainingsbahn. Alle Pferde schienen tadellos erzogen und liefen bei der Arbeit ordentlich über den Rücken. Die Stimmung: Entspannt.
(*Zu dieser Szene sollte ich erklären, dass der Rennsport seit geraumer Zeit an einem akuten Fachkräftemangel leidet: Selbst in vielen Großstadt-Rennställen werden händeringend gute Arbeitsreiter gesucht. Auf dem Lande dürfte die Lage nicht besser sein. Die Rennställe reagieren auf diesen Umstand ganz unterschiedlich.)
Saoirse’s Gift
Mein Hauptziel des Tages war der 4-jährige Schimmel Saoirse’s Gift (IRE) von Tagula. 2019 war er 3x erfolglos in England gelaufen und dann nach Deutschland verkauft wurden. 2020 verdiente er bei 13 Starts 1.350€ (1300 bis 1500 Meter). 2021 verdiente er bei 9 Starts (1400 bis 1900 Meter) 320€. Sein GAG lag bei 44 Kilo.
Mit seinen 4 Jahren und knapp 170 cm kam Saoirse’s Gift noch sehr grün und schlacksig daher. Mit klaren Augen und sehr bemüht, doch schlicht und einfach noch unkoordiniert. Er brachte die Knie-Aktion, die im Rennsport für tiefen Boden spricht und im Reitsport ordentliche Dressur-Noten erhoffen lässt.
Proberitt Saoirses Gift
Die ersten Hüpfer über ein Kreuz waren noch unkoordiniert, doch er zeigte ein schnelles und geschicktes Vorderbein. Zudem wollte er nicht über Tempo springen, sondern aus der Kraft heraus (an der es aktuell noch mangelt). Damit wäre er vermutlich kein gutes Hindernisrennpferd. Doch vielleicht springt er mit dieser Einstellung im Parcours auf engen Linien irgendwann mal ohne Fehler?
Der Proberitt lief nicht lange, denn der schöne Ire begeisterte an allen Fronten.
Zum nächstmöglichen Termin kam der Tierarzt für den TÜV, röntgte Beine, Rücken und checkte das Herz. Saoirse’s Gift bestand ohne Mängel und ich sagte umgehend verbindlich zu.
Der Umzug nach Luhmühlen verlief völlig unkompliziert, ebenso die Integration in die Reitpferde-Herde. Saoirse’s Gift mag seine Paddockbox und liebt den jungen Araber in der Nachbarbox, mit dem er bereits ausführliche Fellpflege betreibt. So viel zum Mythos der unsozialen Rennpferde …
Danke an das Team Fuhrmann für dieses feine Pferd!
P.S. Diverse Stallkollegen von Saoirse’s Gift (der inzwischen auf „Shadow“ umgetauft wurde), suchen noch ein Zuhause. Weitere Infos oder direkt beim Rennstall Fuhrmann (Facebook/ Instagram).