In Bad Harzburg, Bremen, Hamburg, Hannover und Köln werden dank seiner Stimme die Galopprennen noch packender und so richtig anschaulich für das Publikum – der aus Hannover stammende Sven Wissel ist seit 1992 Rennkommentator aus Leidenschaft, durfte also erst kürzlich sein 25-jähriges Jubiläum feiern. Auch im Deutschen Derby begeistert er die Zuschauer und Zuhörer mit seiner Fachkenntnis und Auffassungsgabe seit Jahren. Noch am vergangenen Montag saß er auch in Hannover am Mikrofon.
Im Galopp+Insider auf dem RaceBets-Blog gibt Sven Wissel einen Einblick in seinen Werdegang als Rennkommentator und schildert, wie er diesen so anspruchsvollen Job derart gut meistert.
Zum Galopprennsport bin ich im Alter von 7 Jahren durch meine Großmutter gekommen. Sie hatte sich schon immer für Pferderennen interessiert. Sie besuchte früher schon die Alte Bult in Hannovers Südstadt, und später dann die Neue Bult, die in meiner unmittelbaren Nachbarschaft entstanden war. Zu Schülerzeiten wurde ich Mitglied im Club Neue Bult. An einem Clubabend im Herbst 1991 war der damalige Präsident Frank Ritter geladen, um über die Aufgaben eines Präsidenten und Geschäftsführers zu berichten. Dabei erwähnte Ritter am Rande, dass er einen Kommentator suche. Daraufhin habe ich mich beworben und beim Saisonfinale 1991 zwei Rennen kommentiert. Erst das Königsberger Jagdrennen und dann zum Abschluss noch ein Flachrennen. Danach kam Ritter in die Sprecherkabine und sagte, dass ich engagiert sei. Der damalige Bremer Geschäftsführer Hans-Jürgen Braun hatte die damals noch übliche Audio-Übertragung gehört und mich parallel dazu auch für Bremen verpflichtet. Lang, lang ist`s her.
Seit 1992 bin ich als Kommentator in Hannover und Bremen tätig. Im Jahr 2000 ist Bad Harzburg dazugekommen, dann folgte 2013 Hamburg und seit Herbst 2012 Köln, von 2006 bis 2011 war ich Bahnsprecher in Baden-Baden, danach auch zwei Jahre als Bahnsprecher oder Kommentator in Frankfurt tätig. Außerdem habe ich im Laufe der Jahrzehnte in Gelsenkirchen, Dortmund, Verden und Magdeburg kommentiert.
Ich gehe am Abend vor dem Renntag jedes Rennen anhand der Sport-Welt und der Direktoriums-Datenbank durch und mache mir zu einigen Pferden Notizen. Soweit die Vornamen von Besitzern und Trainern im Rennprogramm nicht vollständig ausgedruckt sind, suche ich die Vornamen heraus. Ebenso, wo jeder Trainer, und sei es der kleinste Besitzertrainer, trainiert. So kann ich nach einem Sieg alle Infos zum siegreichen Team über die Lautsprecher verkünden. Darauf hat jeder Sieger ein Anrecht, egal ob es sich um einen großen oder kleinen Besitzer oder Trainer handelt. Ich möchte bewusst personifizieren und nicht verkünden, dass Besitzerin „Frau Meyer“ ein Rennen gewonnen hat. Außerdem schreibe ich mir im Vorfeld einiges auf zu der Anzahl von Siegen der Trainer und Jockeys. Das große Lernen erfolgt erst am Renntag selbst, wenn die Pferde das Geläuf betreten und den Aufgalopp absolvieren.
Das Derby zu kommentieren ist schon etwas Besonderes.
Die enorme Anspannung und Spannung ist überall zu fühlen. Auch in einem selbst. Es ist großartig, Kommentator in Köln zu sein. Nirgends in Deutschland gibt es ein Publikum mit so viel Sachverstand wie in Köln. Mit Hannover, Bad Harzburg und Bremen arbeite ich auf weiteren Bahnen mit einer tollen Stimmung. Vor zwei Jahren sollte ich einmal ein Rennen in Ffos Las in Wales kommentieren. Trainer Marcus Tregoning, ein guter Freund von mir, hatte den Offiziellen auf der Rennbahn hinter meinem Rücken im Spaß erzählt, dass ich ein Neffe von Georg Baron Ullmann sei und in Deutschland als Rennkommentator arbeiten würde. Als mich die Offiziellen suchten, habe ich mich vorübergehend in Tregonings Auto auf dem Parkplatz versteckt. Nachdem ich eine Stunde später auf den Rennplatz zurückkehrte und von den Offiziellen gefunden wurde und die Wahrheit erzählte, wurde Marcus Tregoning von den Offiziellen gesucht, um sich eine Standpauke abzuholen. Kommentar Tregoning: „Alle Waliser wollen veräppelt werden.“
Es ist die Kombination aus Freiluftveranstaltung, schnellen Pferden, und die Spannung vom Führring bis zum Zieleinlauf, die mich bei meinem Job begeistert. Und wenn man dann noch seinen fachmännischen aber auch unterhaltsamen Senf dazugeben kann, und sich selbst dabei nicht so wichtig nimmt, dann ist das eine runde Sache. Außerdem mag ich die Konzentrationsarbeit.
Natürlich gab es auch mal den einen oder anderen Versprecher. Ein Pferd von Maria Klein habe ich anstatt Anna Bolina Annabolika genannt.
Ein Vorbild zu haben heißt jemanden kopieren zu wollen. Das will ich nicht. Die Zeit in Baden-Baden als Bahnsprecher zu Zeiten des Internationalen Clubs und an der Seite von Kommentator Manfred Chapman werde ich nie vergessen. Unser traditionelles Abendessen vor den Meetings, unsere Kommunikation miteinander während des Renntages. So etwas gibt es nie wieder und bleibt für mich unvergessen. In England bin ich ein großer Fan von Richard Hoiles. Ich bin einmal während eines Renntages in Salisbury zu ihm nach oben in die Box gegangen und habe mich vorgestellt. Seitdem haben wir Kontakt. Neben ihm zu stehen und seinen Kommentaren, seiner Stimme, den Betonungen und seinem Sachverstand zu folgen, ist ein Schmaus für die Ohren.
Natürlich muss man die Stimme „bei Laune halten“. Grippewellen sind fatal, wenn sie auf die Stimme schlagen. Zum Glück kenne ich einen guten Mediziner, der Pferde bei Hans-Jürgen Gröschel trainieren lässt. Da bin ich in guten Händen. Ansonsten trinke ich vor dem Renntag gerne ein bis zwei Bierchen oder in Köln einige Becher Erdbeerbowle. Voller Schrecken musste ich kürzlich leider feststellen, dass es den Bowle-/Waffelstand in Köln nicht mehr gibt. Nun muss ich wohl auf Kölsch umsteigen.
Bevor ich mit dem Kommentieren angefangen habe, war ich ein Riesenfan des Stalles Steigenberger. Ich habe diese Pferde praktisch aufgesogen, sie überall verfolgt. Die Steigenberger-Pferde hatten die schönsten und einfallsreichsten Pferdenamen. Ich bekam damals von Evelyn und Albert Steigenberger eine Rennfarbe geschenkt. Damit wurde wenig später ein großes Hobby geboren. Albert Steigenberger hatte mir seinerzeit bei einem Besuch auf der Neuen Bult in Hannover das „Du“ angeboten. Das war für mich das Größte. Das muss so Ende der 80er Jahre gewesen sein. Eine tolle Erinnerung.
Meine eigenen Pferde hießen Sentnash (1 Sieg), Gudaut (2 Siege) und Showman (2 Siege), die alle bei Wilhelm Giedt im Training waren. Leider hat anschließend Brigantina, die bei Waldemar Hickst stand, nie die Rennbahn gesehen. Meine Rennfarben waren die von Paul Mellon, einem US-Amerikaner, der ein großes Herz hatte und für den Rennsport in England viel getan hat. Seine Exponate im National Horseracing Museum in Newmarket zeugen davon. Er war der Besitzer von Mill Reef, aber auch der in Deutschland bestens bekannten Glint of Gold und Gold and Ivory, die beide Mitte der 80er Jahre den Großen Preis von Baden und den Preis von Europa gewonnen haben.
Im Hauptberuf bin ich Versicherungsfachwirt und als Underwriter im Bereich Technische Versicherungen bei einem hannoverschen Versicherungskonzern tätig. Underwriter bedeutet, dass man Risiken analysiert, bewertet und gegebenenfalls zeichnet. Wir versichern zum Beispiel Tunnelvortriebsmaschinen, aber auch herkömmliche Baumaschinen und stationäre Industriemaschinen. Ein trockener Job. Aber zusammen mit den Galopprennsport eine ideale Kombination.
Seit Anfang der 90er Jahre habe ich mit dem Sammeln von Rennfarben begonnen. National machte der Stall Steigenberger, wie bereits erwähnt, den Anfang. Danach wollte ich die weite Welt erobern. Mit einem Brief an Khalid Abdullah, der in Riad zuhause ist. Und es klappte. Zwei Wochen später bekam ich ein Päckchen mit den weltberühmten Farben und einem Brief von Khalid Abdullah. Daraus sind bis heute 600 Rennfarben weltberühmter Rennställe geworden. Ich habe in den zurückliegenden Jahren vor allem aus England von vielen Besitzern, Trainern und Reisefuttermeistern enorme Unterstützung erfahren. Die Sammlung ist ein großer Türöffner zu den Aktiven. Unzählige Reisen haben mir einen tiefen Einblick in den Sport gestattet. Das ist schon toll.
Durch das Rennfarbensammeln habe ich viele Persönlichkeiten kennengelernt und wurde zu vielen Gestütsbesichtigungen und Renn-Events eingeladen. Ich war über viele Jahre Gast von Mel Davies, dem Besitzer von Barnbrook Again, in seiner Box in Cheltenham während des Festivals. Ich habe den Duke of Atholl, einen Freund von Ronald und Nancy Reagan, auf Blair Castle im schottischen Pertshire besucht, habe den Aga Khan, Andrew Lloyd-Webber, Lord Weinstock und Lavinia Duchess of Norfolk getroffen, um nur einige zu nennen. Das waren tolle Momente. Und immer gab es Rennfarben.
Unvergessen bleibt für mich eine Begegnung mit Alexandra Gutierrez Mitte der 90er Jahre auf dem Rennplatz Iffezheim. Der Zufall wollte es, dass die frühere Eignerin des Gestüt Waldfried bei einem Empfang neben Lotte Edzard saß. Eher beiläufig erzählte Frau Gutierrez von einem Mann aus Hannover, dem sie eine Rennfarbe für seine Sammlung geschickt habe. Nur wenige Minuten später organisierte Lotte Edzard ein kurzes Treffen am Fuße der alten Clubtribüne, das mich sehr bewegt hat. Kein Wunder, blickt man auf die große Tradition von Zucht und Rennstall vom Gestüt Waldfried zurück. Einem von mir gewünschten Erinnerungsfoto verweigerte sich die Grande Dame des deutschen Turfs höflich, aber bestimmt mit den Worten „Ich bin eine alte Frau und Waldfried ist Geschichte“. Diese Begegnung werde ich nie vergessen.
Seit fast 20 Jahren bin ich mit Marcus Tregoning befreundet, dem Trainer von Derbysieger Sir Percy. Im Sommer verbringe ich immer drei bis vier Wochen bei ihm und seiner Familie in Whitsbury im Süden Englands, um einfach abzuschalten. Von morgens bis abends Pferde. Die Reisen mit ihm auf die Rennbahnen genieße ich sehr. Das macht Spaß und lässt den Alltagsstress vergessen.