Den perfekten Rennstall zu finden ist verhältnismäßig einfach: Man sucht sich einen erfolgreichen Trainer. Oder einen sympathischen. Oder im Idealfall einen, der beides ist. Liegt die Trainingsstätte dann auch noch nahe genug, um seinem Pferd am Wochenende Karotten zu bringen, beim Training zuzuschauen und mit dem Trainer bzw. Der Trainerin bei einer Tasse Kaffee fachzusimpeln, sind die Würfel schon gefallen.
Im Reitsport wird das Angebot um einiges unübersichtlicher: Eine kunterbunte Mischung, die vom umgebauten Kuhstall bis zum getäfelten Edel-Apartment reicht. Rechnet man in dieses Chaos noch den Großstadt-Faktor, bewegt man sich schnell in Preisklassen, für die man auf dem Lande ein passables Einfamilienhaus anmieten könnte. Oder ein gutes Rennpferd unterhalten könnte. Während meiner Stallsuche in München habe ich wirklich viele Reitställe besichtigt … und teils wirklich kuriose Dinge erlebt.
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Pferde, die mittags noch hungrig in der Box standen, weil der zuständige Pfleger (ein Mann auf 60 Pferde) nachts kommentarlos verschwunden war. Die Besitzer führten mich seelenruhig über die Anlage und kamen nicht im Traum auf die Idee, selbst eine Gabel in die Hand zu nehmen und die ihnen anvertrauten Tiere zu füttern. Pferde, die im tiefsten Winter durstig in der Box standen, weil der Stallbesitzer in einem akuten Anfall von Hobby-Handwerker die Selbsttränken unter Strom gesetzt hatte. Dass sich die Tiere bei –10 Grad nicht mehr an die Tränken trauten, war das Problem der Besitzer – die danach wochenlang im Rotationsverfahren Kübel schleppten. Stallbesitzer, die ihre Stromrechnung reduzieren wollten: Leider hatte die Herde vorm ungestromten Zaun wenig Respekt und nutzte die Chance, die Nachbarschaft zu erkundigen. Besitzer, die mir das verschimmelte Heu als gänzlich normal und gesund verkauften. Oder die mir voller Überzeugung erklärten, dass Sportpferde einfach nicht auf die Koppel gehören. Da werden sie ja müde …
Doch auch die andere Seite der Front – bei den Einstellern – ließ sich in Sachen Wahnsinn nicht lumpen. Mein persönlicher Favorit war der Abend, als meine Stallkollegin einen akuten Anfall von Putzlaune bekam. Und neben zahlreichen guten und teils sehr teuren Futtermitteln der anderen Einsteller auch den vollkommen intakten Schrank des Stall-Badezimmers auf den Müll warf. Die (gebildete!!!) Dame mittleren Alters, die heulend vor der Box ihres verfetteten Kleinpferdes saß, weil der Heuberg ihres Lieblings heute nicht groß genug ausgefallen war. Die Prügelei in der Sattelkammer. Oder der Wutanfall einer Dressurreiterin, die ihre Trense verlegt hatte und fest überzeugt war, dass man sie bestohlen hatte. Wochenlang rannte sie durch den Stall und beschimpfte andere Reiter, die sie der Straftat verdächtigte. Drohte mit Anwalt. Polizei. Bis sie die vermisste Trense irgendwann im eigenen Sattelschrank wiederfand.
Respekt vorm Eigentum der anderen Pferdebesitzer? Oder gar vor der Trainingsanlage, auf der der eigene Liebling eingemietet ist? Keine Spur. Statt 70 Cent für einen eigenen Hufkratzer und 10€ für eine eigene Gerte auszugeben, bedient man sich lieber bei anderen. Die eigenen Misthaufen wegräumen? Darum kümmern sich nachts die Elfen. Willkommen im Irrenhaus …
Worauf man bei einem guten Reitstall achten muss und sollte?
Leider habe ich in München erst mit der Zeit gelernt, worauf man bei einem ordentlichen Stall achten muss. Bei einem Stall, wo ich mein Pferd auch mal einen Tag alleine lassen kann statt abends mein gelangweiltes Pferd zu bespaßen (weil die Koppeln mal wieder gesperrt sind) und zuzufüttern, weil die Ration mal wieder nicht passt). Mein erster Vollblüter Lord hat in dieser Zeit leider ein paar Experimente mitmachen müssen; bis Duke einzog, war ich am passenden Stall gelandet. Zumindest am passenden Stall für meine Anforderungen:
- Die Haltungsform: Wenn mir frisch gebackene Blüterbesitzer erzählen, dass sie ihr Pferd vom Rennstall in die Offenstall-Herde schmeißen, stehen mir ehrlich gesagt die Haare zu Berge. Am besten noch am Ende der Rennsaison im Herbst … Galopper sind in Sachen Haltung eher verwöhnt und ein bisschen in Watte gepackt: Lupenrein gemistete Boxen, täglich Bewegung in der Führmaschine und Koppelgang alleine oder in kleinen, gleichgeschlechtlichen Gruppen. Nein; so ein Pferd packe ich nicht ohne Umgewöhnungsphase in den Offenstall: Eine Herde, sie sich 24/7 Koppel, Paddock und meist eine große Liegehalle teilt. Gerade in urbanen Regionen sind diese Ställe eher vollgestopft. Mit einem robusten, ausgewachsenen und sozial gefestigten Pferd sicherlich möglich. Für meinen frisch pensionierten Hochleistungs-Teenager Duke wollte ich durchaus Herde und Freilauf, aber auch eine Nacht in der Box. Wo er ganz entspannt und diskussionsfrei seinen privaten Heuberg mampfen kann. Und nachts in den eigenen vier Wänden ein Nickerchen machen darf. Dass er auf Anhieb eine Wohnung mit Balkon beziehen durfte war ein Glücksfall: In ordentlichen Münchner Ställen herrscht auf Paddockboxen eine mehrmonatige Wartezeit.
- Die Koppel: Wenn man Quadratmeterpreise für Wohnraum in München kennt, ist es wenig überraschend, dass das Thema Koppel ein stetiges Problem ist. Es gibt sogar Ställe, die gar keine Koppeln haben. Üblich sind Koppeln im Format Briefmarke. Die wenigen Halme werden sorgfältig gepflegt und die Pferde dürfen bei perfekten Bodenverhältnissen gelegentlich raus. Von Freilauf und Bewegung keine Spur. Eher die Sorte Balkon, auf der Großstadtpferde mal ein bisschen Frischluft schnuppern dürfen. Mein erster Vollblüter Lord hat sich anfangs in dieser Haltungsform am wohlsten gefühlt (auf großen Koppeln wurde er hysterisch und hat sich verletzt); Duke genoss es von Anfang an, jeden Tag neun Stunden mit seinen Freunden aufder großen Koppel zu toben. Dass die viele Bewegung für seinen späteren Einsatz im Sport abhärtet, muss ich wohl nicht betonen …
- Die Heu-Frage: Für einen schwerfuttrigen und fröhlich wachsenden Vollblüter ist das Thema Heu natürlich ein essentielles Thema. Viel sollte es sein. Und gut. Damit wurden schon einmal die zahllosen Münchner Ställe von der Liste gestrichen, die einmal am Tag Heu füttern. Die nur fünf Kilo füttern. Schimmelige Ballen. Oder Silo. Denn nein: Ein Rennpferd ist keine Kuh. Entsprechend sollte es bitte auch nicht so gefüttert werden.
- Die Pfleger: Gutes Personal ist das A und O – die Regel gilt wohl in allen Disziplinen des Pferdesports. Wenn ein Reitstall mit 50 oder 60 Pferden von einem einzigen Pfleger betreut wird – am besten noch von einem, der kein Wort Deutsch spricht und erst seit 7 Tagen mit Tieren arbeitet –, dann sind Probleme vorprogrammiert.
- Die Stallbesitzer: Die Stallbesitzerin schreit mich an, weil mein Pferd auf der Koppel galoppiert. Im Sommer. Bei Sonnenschein. Galoppiert er auf der Koppel, die ich für ein ganzes Jahr gepachtet habe. Die ich selber eingesät habe. Und jede Woche abäpple. Sie schreit knapp zwei Minuten, wird dabei richtig rot im Gesicht. Ich höre zu. Lasse die Beleidigungen höflich über mich ergehen. Und kündige noch am selben Tag meinen Vertrag. Willkommen in der Großstadt. Wenn die Kunden Schlange stehen, machen sich viele Stallbesitzer gar nicht mehr die Mühe, höflich oder zivilisiert mit ihren Kunden umzugehen. Reitstallbesitzer in München ist sicherlich kein einfacher Job und nicht wenige sind über die Jahre unleidlich und verbittert geworden. Haben sich abgeschottet und wollen Kunden, die pünktlich zahlen und ansonsten die Klappe halten. Zum Glück gibt es aber auch noch Betreiber, die ihren Job auch nach Jahren noch gerne machen und sich ehrlich bemühen, dass sich Mensch und Tier bei ihnen wohl fühlen.
- Der Trainer: “Schon erstaunlich, wer heutzutage alles unterrichtet”, sagte mal ein guter Freund. “Doch im Reitsport finden die Leute immer einen, der noch schlechter reitet. Und dem sie Geld für Unterricht aus der Tasche ziehen können.” Aus meiner westfälischen Heimat war ich eine breite Auswahl an Reitlehrern gewöhnt. An qualifizierten Trainern, die für einen fairen Preis guten Unterricht gaben. Dass beim monatlichen Opa-Abend in unserem Dorf diverse pensionierte Profis zusammenkamen, war mein ganz persönlicher Springstunden-Bonus (darunter der Vater der Pollmann-Schweckhorst-Brüder; heute sehr erfolgreiche Springreiter). Der Umzug nach München brachte eine höchst verstörende Entwicklung: Eine Verdoppelung der Trainerpreise bei zeitgleicher Halbierung der Kompetenz. Oder einfach ausgedrückt: Hobbyreiter ohne Ausbildung oder nennenswerte Sporterfolge, die atemberaubende Preise für Reitstunden abrufen. Ich bilde mich an der Reitfront gerne fort und nehme auch mit Duke regelmäßig Unterricht. Aber nur bei Leuten, die nachweislich Ahnung und etwas Erfahrung haben. Natürlich kann man sein Pferd auf den Hänger packen und auf Lehrgänge fahren. Doch gerade mit einem jungen Pferd finde ich kompetente Unterstützung am eigenen Stall unumgänglich. Damit fielen für mich all jene Ställe flach, an denen man nur Unterricht bei Amateuren nehmen darf.
- Die Stallkollegen: Das Wohl des Pferdes geht vor. Doch wenn man jeden Tag mehrere Stunden am Reitstall verbringt, sollte auch die Chemie mit den Stallkollegen passen. Dieser Punkt ist im Vorfeld sicherlich am schwierigsten abzuklopfen. Und doch entscheidet er darüber, ob man sich auf den Stallbesuch freut. Versnobte Möchtegern-Turnierprofis? Nein, danke. Verfettete Freizeitpferdchen, die am Strick Gassi geführt werden? Auch nicht. Die manierlichen Dressur- oder gar Working-Equitation-Reiter neigen zu Schweißausbrüchen, wenn man zu einem frischen Heppelcanter ansetzt (von Galopp ganz zu schweigen) und die Springreiter neigen zum Rassismus. Wenn man nicht mit einem schicken Holsteiner, Oldenburger, Holländer o.ä. aufkreuzt, sind schräge Blicke und Getuschel vorprogrammiert. Im Falle von München kann ich die Facebook-Gruppe “Stall Frei” empfehlen: Viele engagierte Damen, die alle Fragen rund um die örtlichen Ställe beantworten. Und einem meist auch einen inoffiziellen Blick hinter die Kulissen organisieren.
Unterm Strich darf ich mich wohl in die Kategorie “anspruchsvoller Pferdebesitzer” zählen. Ich suchte in München einen Stall mit ausreichend ordentlichem Futter, regelmäßig Freigang, Sozialkontakt für mein Pferd und genug Infrastruktur, um mein Pferd auch im Winter oder bei schlechtem Wetter beschäftigen zu können. Mit netten Stallbetreibern, kompetenten Pflegern, die sich um mein Pferd kümmern und kompetenten Trainern, denen ich Geld für Reitstunden zahlen darf. Und Stallkollegen, die wenigstens erträglich oder im Idealfall sogar nett sind. Die Nadel im Heuhaufen …